Haydu
Heute ist ein schöner Tag, so schön, das sich nicht aufstehen mag, denn war er doch am Anfang schön, wird er vielleicht doch noch zur Höll.
Heute ist ein schöner Tag, so schön, das sich nicht aufstehen mag, denn war er doch am Anfang schön, wird er vielleicht doch noch zur Höll.
Er hasste diese Welt, diese Gesellschaft, was für ein Sumpf der Nutzlosigkeit. Menschen gehen arbeiten, um sich Dinge kaufen zu können, die sie ohne Arbeit gar nicht brauchen würden. Ehrlich jetzt, wer braucht einen Whirlpool, wenn er sowieso das ganze Leben hindurch entspannt ist?
Es widerte ihn an auf die Strasse zu gehen und statt Kunst Werbung zu sehen. Und Autos, ausgestattet mit allen Extras, so dass sie für den normalen Strassenverkehr gar nicht zu gebrauchen waren. Er hatte einen rostigen Volvo, der noch immer fuhr, aber wahrscheinlich durch die nächste Kontrolle rasseln würde.
Manchmal wünschte er sich ein wirklich konservativer Sack zu sein. Einer, der seine Ausbildung beendet, sofort einen Job annimmt, jeden Morgen um acht aufsteht. An einem Dorffest trifft er dann seine zukünftige Frau und nach ein paar Jahren, wenn er sich dann finanziell etabliert hat, zeugen sie freudlos ein paar Kinder, damit die ganze Misere von Vorne beginnen kann. Das einzige Problem ist die Überfremdung des Heimatlandes, von der er allerdings nur in der Zeitung liest, weil in seinem Fleckchen Schweiz Ausländer sowieso keinen Platz haben. Denn niemand lässt sich alleine inmitten von Fremden nieder.
Doch das war nicht seine Welt. Er war schon als Kind anders gewesen. Die Schule war für ihn kein notwendiges Übel, sondern eine bemitleidenswerte Institution, deren einziger Zweck darin bestand ihn für das Leben zurechtzustutzen. Da er sich nie darauf einliess, war er jetzt unglücklich.
Rechungen füllten seinen Briefkasten und er verfluchte die Moderne, das Internet und sein Mobiles Telefon, dessen Sklave er geworden war, weil er nur einmal testen wollte, was ihm die neue Technologie zu bieten hatte. Sich zu lösen ist immer schwer. Trotzdem träumte er von einem Leben ohne Verpflichtungen, irgendwo in einem verlassenen Dachstock einquartiert, nur mit einem Bett, vielleicht Papier und Bleistift. Um zu überleben würde er mal hier mal da arbeiten. Was auch immer er finden könnte. Schliesslich würde er nicht viel brauchen. Ein gebrauchtes Buch vielleicht, eine neue CD, Batterien für seinen CD-Spieler.
Niemand braucht ein Dolby Surround System, wenn man von fünf Menschen umgeben ist und manchmal in der Mitte sitzen kann.
Und er sah sich um und verachtete, was um ihn ab ging und trotzdem war en Teil davon, denn er hatte zu spät realisiert, was geschah und jetzt war er Vater und er brachte es nicht übers Herz sein Kind als Randständiger aufwachsen zu lassen.
Ich bin umgezogen und hatte irgendwie grad keine Motivation etwas zu schreiben, deshalb die lange Pause. Wahrscheinlich kommen jetzt wieder Sachen, hoffe ich.
Um mein Vorderlicht zu montieren, hinten hatte ich keines, hielt ich mit dem Fahrrad am Strassenrand. Gute Musik aus meinen Kopfhörern schützte mich vor der grausamen Aussenwelt, bis die Polizei neben mir hielt.
He Sie!
Ich?
Lustlos schaltete ich den Walkman aus.
Ich habe Sie bereits drei Mal angesprochen, ohne dass sie mir geantwortet haben. Bitte fahren Sie ohne Musik, damit sie den Verkehr hören.
So wie Sie im Auto?
Bitte gehen Sie von der Strasse weg, sie behindern den Verkehr.
Bitte halten Sie nicht mitten auf der Strasse an, die Wagen hinter Ihnen müssen riskante Überholmanöver anstellen, um an Ihnen vorbei zu kommen.
Haben Sie eine Vignette? Kommen Sie mal näher.
Steigen sie doch aus, wenn ich noch mehr auf die Strasse gehe, behindere ich den Verkehr.
Werden Sie nicht frech, Sie wissen mit wem Sie reden?
Nein, Sie haben mir Ihren Namen noch nicht genannt und dass sie Polizist sind beeindruckt mich nur mässig.
Ich könnte Ihnen eine Busse ausstellen, wenn ich möchte.
Schön für Sie, ich hingegen könnte Ihnen einfach so davon fahren, wenn ich wollte. Aber aus Respekt gegenüber einem Menschen, der mir offensichtlich etwas mitteilen will, bin ich noch da.
Halten Sie sich für komisch?
Nein, ich antworte Ihnen nur genau so, wie Sie mir.
Sie sind ganz schön dreist.
Wenn ich Sie angehalten hätte, weil mir ihr Fahrstil nicht passt, würden Sie mich ernst nehmen, sich bei mir entschuldigen und auf ewig geläutert anders fahren?
Sie verwechseln Kompetenzen.
Also nur weil sie staatlich anerkannter Ordnungshüter sind, haben Sie das Recht mir Befehle zu erteilen?
Ja.
Bin ich persönlich zu Ihnen gegangen und habe Ihnen erlaubt über mich bestimmen zu dürfen?
Nein, aber...
Sind Sie ein besserer Mensch als ich?
Sie halten sich wohl für besonders klug?
Sie halten sich für etwas Besseres als ich es bin, nur so ist zu erklären, dass Sie auf die Idee kommen mir etwas vorschreiben zu dürfen.
Wir leben in einer Demokratie, haben Gesetze und wir führen nur aus.
Ach, es gibt Gesetze über am Strassenrand stehen und Lichter montieren?
...
Und auch noch gleich eines, dass ich in diesem Moment hören können muss, wenn mich jemand anspricht.
Wie gesagt, ich kann Ihnen auch eine Busse schreiben.
Wofür? Daraufhin könnte ich Ihnen auch gleich eine reinhauen und trotzdem gäben Sie mir wieder eine Busse und hätten nichts daraus gelernt. Das Spielchen ginge ewig weiter, bis ich kein Geld mehr hätte. Damit ist der Gesellschaft geholfen, dann sitzen nämlich irgendwann alle im Knast und keiner zahlt.
Genau solche Menschen wie Sie machen unsere Gesellschaft kaputt.
Trotzdem sind wir real und sie können unsere Bedürfnisse nicht ignorieren.
Sie haben genau die Freiheiten, die Ihnen zustehen, so wie sie allen anderen zustehen.
Ich versuche mit Ihnen klar zu kommen und suche das Gespräch und alles was Ihnen einfällt ist zu befehlen, so wird sich bestimmt viel ändern in der Zukunft, wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich jetzt gerne losfahren, ich werde erwartet.
Widerwillig schloss der Polizist das Fenster, brummelte irgendwas und fuhr los. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass ich weder Vignette noch Hinterlicht hatte. Selber Schuld.
Meine Geschichte ist unglaublich, so unglaublich, dass ich sie kaum selber glauben kann. Angefangen hat sie vor ziemlich genau zwanzig Jahren. Damals war ich achtzehn und wohnte zu Hause. Das war mitten in den achtziger Jahren, dieser kitschig, verschwommenen Nachdiskozeit. Rückblickend eine einzige Katastrophe, aber damals ganz in Ordnung. Immerhin hatten wir bereits super Hightech Geräte, wie zum Beispiel den CD-Spieler und denVideorecorder, mein persönlicher Favorit. Ich hatte lange gespart, um mir endlich einen kaufen zu können. Doch schon nach einem Jahr, genau eine Woche nach Ende der Garantie, zerstörte er die Bänder statt sie ab- oder überzuspielen.
Genervt schraubte ich das Gerät auseinander, basteln war schon immer eine meiner Leidenschaften gewesen, und machte mich unfachkundig an die Innereien der schwarzen Kiste. Jede Menge Elektroschrot und Zahnräder waren da drin und ich hatte natürlich keine Ahnung, wo in diesem Gewirr ein Fehler stecken könnte. Trotzdem packte ich sämtliches Werkzeug zusammen, das ich im Chaos meines Zimmers verstreut auftreiben konnte und schraubte hoch motiviert drauf los.
Nach einer guten Stunde hatte ich das Gefühl den Fehler gefunden zu haben, setzte alles wieder zusammen, schob eine ohnehin wertlose Kassette in den Schlitz und drückte Play, das Schlimmste erwartend. Aber nichts passierte, kein ruhiges Surren oder unheimliches Reissen. Jetzt hatte ich das Gerät komplett zerstört, dachte ich.
Enttäuscht und genervt schmiss ich das Gerät hin, ging in die Küche, um was zu Essen, damals stand ich total auf Frühstücksflocken. Meine Mutter sass bereits am Küchentisch, die Zeitung lesend. Das war ihre Lieblingspose, wir hatten drei Tageszeitungen abonniert. Ich ignorierte sie, holte mir Milch und Frosties, setzte mich ihr gegenüber und begann schweigend zu essen. Sie wirkte wie versteinert, blätterte nicht einmal um.
„Interessanter Artikel?“, versuchte ich ein wenig Bewegung in den Raum zu bringen.
Keine Antwort.
„Alles okay, Mutter?“
Immer noch keine Reaktion.
Ich stand auf, ging zu ihr hin und berührte sie an der Schulter. Diese war unglaublich hart und leblos, wie Plastik. War meine Mutter zur Schaufensterpuppe geworden? Absurd, trotzdem bedrohlich. Ich bewegte mich ein paar Schritte zurück, stolperte über ein Hindernis am Boden und fiel der Länge nach hin. Ich war über unseren Pudel gestolpert, der wie eine Statue dastand, seinen nervigen Quietschknochen im Maul.
Die Szene wurde langsam unangenehm, panisch rappelte ich mich auf, rannte aus der Küche, aus dem Haus auf die Strasse. Das Bild war ähnlich, Autos schienen mitten auf der Strasse stehen geblieben zu sein. Der Hula Hup Reifen meiner Schwester schwebte mitten in der Luft, während ihr Körper sich verkrümmt an ihn schmiegte. Ich war der Einzige, der sich zu bewegen schien. Alle um mich herum waren stehen geblieben. Irgendwas stimmte nicht, soviel war mir klar.
Stundenlang oder Minutenlang, meine Uhr war auch stehen geblieben, lief ich in meinem Viertel herum, beobachtete die teilweise unmenschlich aussehenden Posen und Mimiken der leblosen Lebendigen, stille Jogger, Skater, Küssende und Ähnliches. Ich widerstand der Versuchung Passantinnen unter den Rock zu schauen, vielleicht hatte ich auch Angst. Trotzdem genoss ich die Ruhe, so etwas hatte ich noch erlebt, leider.
Nachdem ich mich an diesen Ausnahmezustand gewöhnt hatte, zog ich mich in mein Zimmer zurück, um nachzudenken. So sehr mir dieser surreale Ausflug gefallen hatte, wusste ich doch, dass ich wieder in die lebendige Welt zurückkehren wollte. Bloss wie? Ich wusste nicht einmal wie ich überhaupt in diesen Zustand geraten war, alles was ich gemacht hatte, war an meinem Videogerät rumzuschrauben. Hatte das gerät etwas damit zu tun? Ich drückte auf die Stopp-Taste. Sofort hörte ich wieder vertraute Strassengeräusche, unseren Hund bellen und sah im Garten meine Schwester den Ring um ihre Hüften kreisen.
Unglaublich, ich hatte einen Zeitstopper erfunden. Ich drückte auf den Play Knopf und wieder war es totenstill um mich. Ich hatte den Zeitstopper erfunden!
Seit diesem Tag hatte sich mein Leben verändert. Die zeit war mir egal, wenn ich Urlaub brauchte, Musik hören wollte, einen Film sehen, dann hielt ich die Zeit an und genoss das Leben. Ich war immer entspannt, zufrieden meisterte den härtesten Alltag problemlos. Immer öfters zog ich mich zurück in meine Welt des Augenblicks, niemanden weihte ich ein, ich hatte mein persönliches Refugium.
Nach zehn Jahren verbrachte ich mehr Zeit dort als in der realen Welt und erst dann wurden mir die Folgen dieser Sorglosigkeit bewusst, dabei war es absolut logisch. Wenn ich mich in den Zeitlosen Raum zurückzog, tickte meine innere Uhr weiter, unaufhaltsam, während die meiner Mitmenschen stehen blieb. Mit dreissig sah ich aus wie fünfzig und ich fühlte mich auch so, hatte bereits so viel mehr erlebt als meine Mitmenschen.
Ich war süchtig nach meiner Welt und diese Sucht forderte ihren Tribut, jede Stunde ohne Zeit, raubte mir reelle Lebenskraft. Jetzt bin ich knapp vierzig und ein alter Mann. Ärzte untersuchen mich, in der Hoffnung mir helfen zu können, aber sie haben keine Ahnung, was wirklich passiert. Ich habe abgeschlossen mit dem Leben. Bald werde ich die Zeit für immer anhalten und im zeitlosen Raum sterben. Ich weiss noch nicht, was das für meine Mitmenschen bedeutet, da ich ja nie mehr den Stopp Knopf werde drücken können. Wird mein Leichnam in der Unendlichkeit meiner Zeit verrotten und nie wieder auftauchen?
Ein Telefon klingelt.
Ja?
Hello .
Georgy alter Nazi.
Ariel, was geht?
Nicht viel, so wie jeden Tag halt. Die Mauer hält, das ist die Hauptsache.
Freut mich zu hören.
Ja, es ist nicht immer einfach sie aufrecht zu erhalten und jetzt auch noch der ganze Scheiss mit den Karikaturen, die sind richtig nervös da drin, der reinste Hexenkessel. Bald spielen wir wieder mal Minesweeper. Hach wie ich mich freue.
Scheisse Mann, jedes Mal, wenn ich dich so reden höre, schätze ich wieder den Atlanta.
Atlantik...
Was auch immer, Jolly good Fellow, was auch immer. Wasser ist Wasser.
Sag ich auch immer. Jude ist Jude, Moslem ist Moslem.
Nur diese Mexikaner. Die nerven sag ich dir. Wir arbeiten jetzt mit speziellen Mausemexfallen mit Burritos als Ködern.
Funktioniert nicht, haben wir bereits mit Koranködern getestet. Die Biester sind clever.
Meinst Du? Bin ich nicht überzeugt. Na mal sehen, wir starten morgen den ersten Testlauf mit meinem Dienstboten. Hach, wie ich mich freue.
Du hast es schön, immer eine Herausforderung, seit Arafats Tod ist hier unten tote Hose. Die haben alle den Schwanz eingezogen. Dabei haben wir ihnen extra den Gazastreifen geöffnet, um ihnen ein wenig Hoffnung zu machen und sie anzuspornen, aber nein, die bleiben einfach still diese Langweiler.
Kann ich gut verstehen. Ging mir damals ähnlich, als ich die Wahlen wieder für mich entschieden hab, scheiss Langeweile. Aber ich arbeite jetzt an einer noch effektiveren Terrorbekämpfung?
Neues Konzept?
Absolut Neu. Brandaktuell! Ist mir gestern im Bett mit Rice eingefallen.
Unter der Vorhaut sind immer die besten Ideen verborgen...
Komm mir nicht wieder damit du Fotzelschnitte. Hör mir zu! Wir werden Europa angreifen.
Europa, aha, aber die sind doch gar eine Moslems.
Eben. Allesamt Nassscheisshippies. Kaum Militärausbildung, aber viele kräftige Jungs. Die übernehmen wir, bilden wir aus, trichtern ihnen ein paar gescheite christliche Grundwerte ein und dann schicken wir sie zu den Nachbarn, damit sie mit denen das Gleiche machen. Bis wir dann vor den Mussolinis stehn.
Muslimen...
Whatever, sind eh alle Schwarz. Auf alle Fälle. Hilfst bist Du mit mir?
Kommt drauf an, was bringts den Juden?
Ha ha, du wirst begeistert sein! Ihr kriegt ASIEN!
Was?
Asien, dieser Fliegenschiss, der nur ein kleines Meer von den Moslis weg ist. Wir kreisen diese Arschlöcher ein! Ich hab schon mit den Südafrikanischen Huren...
...Buren...
Klugscheisser. Aber du weißt was ich meine. Auf alle Fälle hab ich mit ihnen telefoniert und sie sind bereit Afrika zu übernehmen, die haben da absolut Erfahrung mit.
Du weißt, dass die Holländer Kiffen legalisiert haben und die Homo Ehe führen?
Was haben die Holländer mit den Buren zu tun? Bleib bei der Sache, ok? Nachher nehmen wir ihnen Afrika sowieso wieder weg. Aber erst müssen wir diese Mohamedohomos einkreisen, stauben ihr Öl ab, setzen unsere Leute in die Regierung und fertig. Kein Problem, das hab ich bei Risiko schon tausend Mal getestet. Das funktioniert, man muss nur genügend Sechser Würfeln.
Und ich krieg Asien?
Jeps, das ist mehr Land, dafür sind die technologisch alle unterentwickelt. Überlege es dir. Ich ruf dich morgen wieder an. Dann reden wir über die Details. Ich muss jetzt auflegen, meine töchter machen sich grad an meinen Whiskey ran! Wir sprechen uns morgen nochmals?
Definitiv alter Freund.
Alles klar dann. Bis morgen!
Ja, schalom, Georgie.
Mal eine erste Rohfassung, ich bin noch nicht ganz zufrieden damit, aber egal:
Da stand sie, in einer Ecke, erst hatte er sie gar nicht gesehen und dann war sie plötzlich da. Erhaben, schön und unerreichbar. Noch ein bisschen fester klammerte er sich an den Flaschenhals. Sollte er aufstehen und zu ihr gehen? Eine kluge Konversation anfangen, sich smart geben und die Absichten eindeutig durchschimmern lassen. Was sollte er denn sagen? Eigentlich verband ihn nichts mit ihr, er hatte kein Einstiegsthema, das den Weg für eine ernsthafte Unterhaltung ebnen würde.
Er wurde unruhig, hielt sich aus den Gesprächen seiner Freunde raus, schaute immer wieder rüber zu ihr. Er konnte gar nicht anders. Einmal hatte er sie gehabt, eine Nacht lang, das würde er nie vergessen. Sie war bei ihm gewesen, weshalb wusste er nicht mehr so genau, beide hatten sie in Unmengen getrunken und hatten dann in seinem Bett etwas miteinander gehabt, bis sie plötzlich eingeschlafen war, noch bevor sie die Hosen ausgezogen hatte. Als er am nächsten Morgen aufwachte, war sie bereits weg. Seitdem hatte er sie nie mehr gesehen. Leider. Sie gefiel ihm, schon lange.
Jetzt flirtete sie mit irgendeinem Irrläufer und schien es sichtlich zu geniessen, wie dieser sie gierig anstierte. In dem Moment wusste er, dass er sie nie mehr wieder so berühren würde und dieses Gefühl zerfrass ihn. Wie konnte es sein, dass man etwas trotz jeglicher Anstrengung einfach nicht haben konnte, nur weil jemand anderes benötigt wird es auszuleben. Andere Menschen sind unberechenbar und sie nahm sich einfach so die Freiheit heraus über ihn zu entscheiden, hatte eine unglaubliche Macht, die niemandem zustand.
Er fühlte sich wie ein Eimer Wasser in einem Guss ausgeleert und jetzt lag er verteilt auf Betonboden und sickerte langsam in die Ritzen. Entschlossen stand er auf, ging direkt auf sie zu.
Hi
Hey was geht?
Nicht viel, weniger als bei dir, du bist ja wieder voll im Geschäft, wirst du heute von ihm früh morgens abhauen, kann ich dir ein Bier offerieren, du stehst noch zu standfest?
Hmmm?
Egal. Ciao! geniesst den Abend!
Besser fühlte er sich nicht, als er die Bar verliess, die beiden verdutzt hinter sich lassend, im Gegenteil, aber er wusste nicht, was er sonst hätte tun sollen und so hatte er wenigstens mit ihr sprechen können und sie würde sich daran erinnern und möglicherweise darüber nachdenken. Dann ging er in die nächste Bar sich selbst einladen.
Welch ein Vergnügen für einen Hobbypseudoschreiberling wie mich. Fabian Hernandez hat angefangen die Geschichte vom Alten Mann graphisch umzusetzen. Zu sehen gibts das hier. Schaut euch auch den Rest von dem Künstler an, der geht ab wie frisch geschlüpfte afrikanische Rentiere!
Das hat mir imponiert, da musste ich auch wieder einmal zeichnen, bin aber nicht weit gekommen... klicke hier.
„Die Luken! Die Luken müssen runter, werft das Ding raus! Sonst gehn wir in die Luft!“
„Ja, Sie haben leicht reden Kapitän, aber um die Luken zu öffnen müssen wir das Ding umbauen.“
„Na denn los, los! Hopp, Hopp! Sie Arschloch haben noch zehn Minuten! Was dann kommt, muss ich Ihnen wohl kaum erklären, verdammt!“
„Aye Aye, Sir!“
Sofort beginnt der Chefmechaniker damit die notwendigen Änderungen durchzuführen. In einem Waghalsigen Manöver seilt er sich an der Aussenwand ab, um mit seinem Werkzeug den Aussenmotor der Luke zu erreichen und umzubauen. Die See tief unter ihm schlägt hohe Wellen, immer schwieriger fällt es ihm Kontrolle zu bewahren und nicht an der Seitenwand zu zerschmettern. Hoch über ihm brüllt noch immer der Kapitän, betitelt ihn als blinden Idioten, der zu dumm wäre seine eigene Mama am Sterbebett zu erkennen.
Endlich erreicht er sein ziel, seine Füsse schwimmen bereits im Wasser, er löst Schrauben, zieht Muttern an, befestigt einen Keilriemen neu. Die Schreie des Kapitäns werden immer lauter und beginnen sich mit denen einer Frau zu vermischen, hören sich an, als ob sie direkt neben ihm stehen würden. Es fällt ihm immer schwerer die Konzentration zu bewahren, er versucht sämtliche Hintergrundgeräusche abzuschotten, fokussiert sich auf seine Aufgabe. Schritt für Schritt kommt er seinem Ziel näher. Es liegt an ihm dafür zu sorgen, dass die Situation nicht eskaliert, die Bombe muss entsorgt werden, koste es was es wolle.
Schweiss gebadet vollendet er sein Werk. Die Stimmen werden lauter.
„Du kannst nicht von mir verlangen ihn aufzugeben! Er ist auch mein Sohn!“
„Als ob Du dich je um ihn gekümmert hättest! Er war dir doch immer Klotz am Bein, und jetzt plötzlich willst du deine Pflichten wahrnehmen können?“
„Ich war ja die meiste Zeit auf Arbeit, natürlich hast Du einen engeren Bezug zu ihm, schliesslich hast Du ihn die meiste Zeit erzogen, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht über meinen Kopf hinweg über ihn bestimmen zu können und wenn ich dir das so nicht klar machen kann, dann bleibt mir nur der Rechtsweg.“
„Du solltest dich reden hören, als ob Du die Gerechtigkeit für dich gepachtet hättest, was weisst Du denn über Kinder, schliesslich sitzt Du den ganzen Tag in einem verstaubten Büro und sortierst Akten für deine fetten Chefs.“
„Ach aber Du weisst über meine Arbeit bescheid und ich nicht über meinen eigenen Sohn. Du hast ja keine Ahnung, was für Schwachsinn Du mal wieder von dir lässt!“
Er verstand ihre Worte nicht, nur deren Tonfall und den wollte er nicht verstehen. Lieber widmete er sich wieder seinen Schiffen, der Bombe und der Stille der tobenden See. Ein paar Legosteine hatte er noch, die er ansetzen konnte.
Ich habe jetzt einen verbalen Boxsack. Er heisst Andrea und ist ein Hermaphrodit. Normalerweise versteckt er sich irgendwo in meinem Hirn und bleibt ganz still, aber immer wenn ich ihn brauche, dann kommt er hervor und steht mir zur Verfügung. Das ist immer dann, wenn ich jemanden zum anschreien brauche, zum fertig machen. Einer oder eine, dem ich alles ins Gesicht schmettern kann, ohne gegen Regeln zu verstossen. Ich laufe zur Höchstform auf, schreie ihn an, beschuldige ihn mir mein Leben gestohlen zu haben oder zumindest Teile davon. Auch an meinen schlechten Launen ist er schuld, oder wenn ich morgens nicht im Bett liegen bleiben kann, weil mich eine unfassbare Kraft rauszieht.
Er versucht sich dann zu wehren, geht in die Defensive oder regt sich fürchterlich auf, aber gegen meine Rhetorik und Aggression hat er keine Chance. Das weiss er, schliesslich habe ich ihn erschaffen, trotzdem versucht er es immer wieder, fordert mich heraus, kann es nicht lassen und nimmt verschwommene Konturen an, erinnert an Menschen die ich kenne, oder irgendwo gesehen habe. Ich höre ihn mit bekannten Stimmen zu mir sprechen und ich gebe Antwort, führe einen inneren Dialog mit meiner real gewordenen Phantasie, rede mich in Rage.
Mehr Menschen sollten eine oder einen Andrea haben, vielleicht wären sie dann zufriedener. Auf meiner Reise nach Marseille ist mir aufgefallen, wie die Menschen auf der Strasse leise vor sich hin brabbeln. Im Supermarkt hatte ein älterer Mann sogar in irgendeiner Ecke eine imaginäre Person angebrüllt. Später war er dann ganz entspannt zur Kasse geschlurft und hatte gezahlt. Niemand hatte sich an ihm gestört, obwohl er vor fünf Minuten Andrea beinah wortgewandt abgeschlachtet hätte.
Ich liebe dich Andrea, gerade weil ich dich ungehemmt hassen darf.
Es war zu hell, der Schnee reflektierte das ohnehin bereits starke Licht der Strassenlaternen, färbte das Schwarz der Nacht in ein dunkles rostrot. Ich wusste nicht mehr wie spät es war, wann ich losgelaufen war, hatte keine Ahnung wann ich ankommen würde. Darauf kam es nicht an, was hinter mir lag, war bereits vergessen, mein Blick zu tief, um nach vorne zu sehen.
Dendemann verbreitete seine genial verspielten Verse über relaxte Beats in meine Kopfhörer. Endlich hatte ich Zeit, musste nirgendwo sein, ausser irgendwann in meinem Bett. Meist hörte ich den Texten zu, manchmal dachte ich selbst nach, fasste Dendes Aussagen auf, schmückte sie aus, bildete Assoziationsketten, landete bei Themen, die ich nie erwartet hätte, an die ich noch nie gedacht hatte.
Die Zeit wurde immer mehr zu einem abstrakten Gebilde, das nur wegen all der Uhren um uns herum Bestand zu haben schien. Weil wir uns zu sehr mit der Zukunft, Terminen und Zielen befassen. Ich hätte niemals ankommen können, würde noch immer durch leere Strassen laufen, einsam aber zufrieden, nur gestört durch Taxis, die dann und wann meinen Weg kreuzten.
Ampeln waren mir egal, die meisten blinkten sowieso nur noch in Orange, immer gleich, da sie keine hintereinander aufgereihte, zum losfahren bereite Autos, Motorräder und Fahrräder zu dirigieren hatten. Die Menschen schliefen und machten der Nacht Platz.
Ich kam an Orten vorbei, die mich an Vergangenes erinnerten, diese Treppe hatte ich mit dem Skateboard bezwungen, an der Tramhaltestelle meinen ersten wirklichen Kuss und an diese Wand hatte ich nach einer Party gekotzt. Und je näher ich meinem Zuhause kam, desto mehr vermischten sich die Eindrücke, wurden zum Alltag, verloren an Faszination. Ich entdeckte keine Details mehr, tat alles mit einem Blick ab, begann mich auf mein Bett zu freuen, merkte, dass mir kalt war.
Es war kalt. Richtig eisig, ich trug mehrere Lagen Kleidung, das tat ich sonst nie, so ernst war die Lage. Menschen kamen mir entgegen, alle leicht gebückt und geknickt, um ihren Hals zu schützen und die Körperwärme besser speichern zu können. Niemand blieb stehen, alle hetzten in Cafés, Kaufhäuser, nach Hause, Hauptsache warm. Auch ich konnte es kaum erwarten ins Büro zu kommen, mich von meiner Jacke und dem viel zu dicken Pullover zu erlösen. Dummerweise hatte ich mein Fahrrad zu Schrott gefahren und die überteuerten Strassenbahnpreise mochte ich nicht bezahlen für nur zwei Haltestellen, deshalb lief ich und spürte mich nach und nach erfrieren.
An einer Strassenecke sah ich ihn, er sass auf einer Bank. Wahrscheinlich war er so um die siebzig oder achtzig. Er hatte eine jener Mützen an, die an Trapper aus alten Karl May Romanen erinnerten mit halblangen, Fell gefütterten Ohrschützern an beiden Seiten, wie ein umgepolter Hase. Sein schmächtiger Körper war in einen weiten, grau abgetragenen Wintermantel gehüllt. Bewegungslos, nur dann und wann eine Esskastanie schälend sass er da, sagte nichts und beobachtete, wie die Leute an ihm vorbei hetzten und ihn gar nicht bemerkten.
Auch ich wollte eigentlich weiter, schliesslich war es kalt, aber irgendetwas an der traurig da sitzenden Figur faszinierte mich, so setzte ich mich neben ihn. Sofort bot er mir eine seiner mittlerweile erkalteten Marroni an, die ich mit meinen eingefrorenen Fingern kaum aufbrechen konnte. Wir kauten schweigend.
Dann fragte ich ihn, was er hier tue, so ganz alleine. Er habe gewartet, entgegnete er mir, darauf, dass ihn jemand bemerken würde und jetzt könne er endlich nach hause gehen.
Der Eine sass bereits am Tisch, als der Andere das Cafe betrat. Erst sah er ihn nicht, blickte sich suchend um, denn er wusste dass er eigentlich bereits irgendwo sitzen musste, denn er war nie zu spät. Schliesslich fand er ihn, an einem Kaffee nippend, ruhig, fast schon unterkühlt begrüssten sie sich. Eine lang einstudierte Routine, Händedruck, ein kurzes, na wie geht’s?
Dann dachten sie bereits an anderes, an ihre Arbeit, Steuererklärung, Freundinnen, Samstagabendprogramm, Filme oder was auch immer sie als wichtig einstuften. Halbherzig trieben sie Konversation, es gab genug Themen von denen sie wussten, dass sie beiden gefallen würden, schliesslich kannten sie sich bereits mehrere Jahre lang, wussten alles voneinander und konnten sich trotzdem nicht fassen, hatten keine Ahnung, was der andere dachte, worauf er Lust hatte. Stattdessen spulten sie ihr Standartprogramm durch, sprachen über Filme, ehemalige Lehrer und Klassenkameraden und vor allem Musik.
Mittlerweile hatten sie sich zwar in jeweils andere musikalische Richtungen zu entwickeln begonnen, trotzdem waren sie an der Meinung des anderen interessiert und kannten sich aus, liessen kluge Kommentare fallen, analysierten Liedertexte und Harmonien und fühlten sich trotzdem unwohl. Die Spontaneität, das Erlebnis fehlte. Früher waren sie noch einfach so in eine ihnen fremde Stadt gereist, hatten dort die Nacht verbracht, waren durch die Strassen gelaufen und hatten über das Leben philosophiert.
Jetzt waren ihre Treffen Routine, nicht unangenehm, aber auch nicht aufregend, immer öfters kam es vor, dass der eine keine Zeit hatte, den anderen auf ein anderes Mal vertröstete. Trotzdem liessen sie nicht voneinander, denn sie hatten sonst niemanden bereits derartig lange, dass sie aufeinander verzichten könnten.
Ich beobachtete sie, während ich mein Bier trank und beneidete sie irgendwie auch. Die beiden wussten, sie würden so schnell nicht alleine sein, wenn sich etwas ändern sollte. Mittlerweile würde keiner sich einfach so nicht mehr melden. Ich dachte daran, wie viele Menschen wir kennen, von denen wir genau wissen, sobald etwas anderes dazwischen kommen würde, dann wäre diese Bekanntschaft vorbei. Nicht so diese. Sie fühlten sich einander verpflichtet, das bedeutete etwas. Mehr als viel anderes.
Was es nicht alles gibt! Bier in der Einliterdose. Wow! Lobt und preiset den Herrn, was er uns alles ermöglicht, sogar ihn haben wir erfunden. Ich beuge mich dem Menschlichen Intellekt, eine Verbeugung bis ich Staub fresse.
Angefangen hat ja alles mit den ersten Homo Sapiens, die irgendwann aufrecht zu gehen begannen. Zumindest behauptet das Darwin, aber in Anbetracht der Alternativen glaube ich ihm. Oder glaubt jemand ernsthaft daran, dass die Frau aus einer Rippe des Mannes entstanden ist. Wie tief muss der IQ einer Person sein, die diese Version der Darwinistischen bevorzugt. Nicht, weil sie wie ein Märchen klingt, das ist ja schön, aber bedenkt nur mal, die Frau wäre tatsächlich aus dieser frisch entnommenen Rippe entstanden, weshalb sollte sie dann Kinder gebären können? Oder besser, weshalb war dann nicht die Frau zuerst, gebar den ersten Mann und dann zwanzig Jahre später hätte sie ihn gefickt und daraus wären dann die Nachkommen entstanden.
Das wäre dann Inzest, der ist kirchlich verboten, also hat es Gott von Anfang an darauf abgesehen Adam und Eva aus dem Paradies zu schmeissen. Irgendwo mussten die beiden ja ihren Trieb ausleben. Dabei waren sie ja nicht mal getraut. Und ich dachte Sex vor der Ehe sei verboten. Noch eine Sünde. Die ganze Menschheit ist miteinander verwandt und dann auch noch unehelich. Und so was beten die Christen an? Wie blöd muss man sein um nicht einmal die simpelsten Überlegungen anzustellen?
Aber so ist der Mensch, er kriegt etwas vorgesetzt und weil Mammi immer gesagt hat, man isst, was auf den Tisch kommt, akzeptiert er es einfach. Es ist ja schön, wenn man jemandem vertrauen kann. Aber Hingabe ohne Kopf geht dann doch zu weit. Hirn aus, Meinungen rein, Persönlichkeit spülen. Die Bauanleitung für die perfekte Gesellschaft. Und das meine ich ernst. Wir funktionieren am allerbesten, wenn wir einfach die Fresse halten und parieren. Dann gäbe es keine Kriege, keine Probleme, keine Abenteuer, kein Leben. Ein Führer und jede Menge Gefolge, absolut sinnvoll.
Auch Herrscher sind nur eine Erfindung unseres kranken Geistes. Genau so wie Tierquälerei, Fremden- und Schwulenhass, Heroin, Politiker, Demokratien, Schokolade, Techno Musik und was weiss ich alles. Der Diktionär mit allem, was ich nicht weiss, wäre ungemein viel grösser als einer, der mein sämtliches Wissen beinhaltet. Wie kann ich es also wagen ein Urteil zu fällen? Wie kann überhaupt jemand für sich beanspruchen über andere richten zu können?
Trotzdem tun wir es andauernd und wisst ihr was? Es ist mein grösstes Hobby, es gibt nichts schöneres, als Mitmenschen zu beobachten und sich eine Meinung zu bilden. Oftmals denke ich dann auch, was für ein Idiot und lache ihn aus. Innerlich natürlich, ich weiss ja, was sich gehört. Niemals würde ich einem Superbünzli zeigen, wohin er sich seine Schweiz stecken kann, obwohl das wohl das einzig Richtige wäre. Doch diese Gesellschaft hat mir eine Hemmschwelle auferlegt, die ich kaum durchbrechen kann, höchstens mit abwertenden Texten, die dann jeder als verachtend, sarkastisch, gemein abtut.
Hallo Leserinnen und Leser, jetzt spreche ich euch direkt an, ich weiss zwar nicht, wer ihr seid, aber ich glaube Arschlöcher. Willkommen in meiner Welt, eigentlich habe ich euch nichts zu sagen. Ihr lest noch immer? Dann gebt mir alles zurück! Ich bitte darum. Es kann doch nicht sein, dass wir uns andauernd anlächeln, obwohl wir uns am liebsten die Zähne einschlagen würden! Jeder trägt Gewaltpotential in sich. Lebt es doch aus, lasst mich euer Boxsack sein! Aber seid nicht überrascht, wenn ich mich wehren sollte.
Manchmal habe ich Angst in der Strassenbahn, ich sehe ausdruckslose Gesichter, die den ganzen Tag im Büro, mit ihren Kindern, auf einer Baustelle verbracht haben. Es wird von ihnen verlangt perfekt zu sein, immer Kontrolle zu bewahren. Ein Fehler und die Karriere wird weggespült, wie ein toter Goldfisch. Immer mehr verfallen den Drogen, würde ich auch, wenn ich nicht dieses Gefühl der nüchternen Freude dermassen lieben würde. Viele vergessen ihre Identität und werden zur Maschine, einer wandelnden Zeitbombe, ein Damm kurz vor dem Durchbruch.
So viel vergrabene Gefühle, ohne Ventil, ein Dampfkochtopf, der auf dem Gasherd vergessen wird. Kabumm! Ein Wunder, dass nicht mehr Explosionen folgen. Aber irgendjemand scheint regelmässig das Feuer zu löschen und ich habe keine Ahnung wer.
Unsere Bedürfnisse werden ignoriert und mit Einliterbier ruhig gestellt. Ein bisschen Freude, danach Kater und das grosse Bereuen.
Schon mal ein Dorffest oder die Fasnacht besucht? Volltrunkene Bürger und Drogengegner laufen besoffen zur Höchstform auf, sind unkontrollierbar. Denen traue ich in solchen Momentan alles zu. Da ist der Andrang am Gassenzimmer Nichts dagegen. Aber die dürfen das, denn unter der Woche parieren sie schliesslich. Das Wochenende, unser letztes Quentchen Freiheit, zumindest für alle jene, die nicht im Coop Pronto arbeiten müssen. Arme Schweine, ihrer letzten Freiheit beraubt.
Ich versuche so zu Leben, wie ich gerade Lust habe, zu tun, was ich will und ich weiss, ich werde nie akzeptiert werden, wenn ich mich nicht ändere. Wen kümmern Gesellschaftskritische Texte? Wer würde an einer Lesung teilnehmen? Die erste Smalltalkfrage:
„Ah und was machst du so?“
„Ich mache dich, deinesgleichen und Smalltalkt fertig!“
„Oh, wie nett!“
„Ja finde ich auch.“
Ach, es ist doch alles deprimierend. Heute schreibe ich ziellos, verloren, ohne roten Faden und natürlich hoffe ich jetzt darauf, dass mich jemand aufheitert, mir Mut zuspricht, so wie jeder, der irgendeine Leistung erbringt. Egal ob er zeichnet, filmt, malt, schreibt oder Gullydeckel repariert. Und sie alle haben gleich viel Lob verdient, wenn sie nur ehrlich sind, sich nicht hinter Plattitüden verstecken, zeigen, was wirklich in ihnen steckt.
Na denn, ich warte auf euch...
Ich beobachtete sie genau, hatte schliesslich Zeit, musste warten, darauf, dass ich an die Reihe käme. Vor mir standen etwa fünf Leidensgenossen, alle eingedeckt mit Lebensmitteln, Beauty Accessoires, Kleidern oder was sie auch sonst immer hatten finden können in den verwinkelten Regalen des Einkaufsparadieses. Ich balancierte sämtliche Zutaten einer Pizza in meinen Armen, weil ich wieder vergessen hatte eines dieser grünen Körbchen am Eingang mitzunehmen. Sehnsüchtig wartete ich darauf endlich meine Waren aufs Förderband zu legen und diesen Ort der farbenprächtigen Depression zu verlassen.
Sie ging routiniert vor, griff sich einen Artikel, scannte den Stichcode, liess ihn in die Auffangbecken am Ende der Kasse rutschen und griff sich dann den Nächsten, bis sie künstlich lächelte, den Gesamtbetrag nannte, um dann mit steinerner Miene von Vorne anzufangen. Stundenlang Arm nach rechts, nach links, Lächeln. Sie tat mir Leid, eingesperrt in ihrer Pflicht Geld zu verdienen, musste sie sich der Wiederholung aussetzen und keiner nahm sie war, niemand bedankte sich von Herzen bei ihr, dass sie ihm ermöglichte Waren einfach so mitzunehmen, im Tausch gegen ein paar Scheine, Münzen oder Bits ohne jeglichen Wert.
Ersetzbar war sie; möglicherweise irgendwann durch eine Maschine, ohne Gesicht, Gefühle, Motivation. Reine Funktionalität, keine Pausen oder Fehler, höchstens ein paar Ausfälle, Systemabstürze oder ähnliche Spielereien. Ich hatte Lust ihr meine Anerkennung zukommen zu lassen, zu zeigen, wie sehr ich es schätzte von einem Menschen bedient zu werden, einem Lebewesen mit einer Geschichte, Erlebnissen und Ansichten. Vielleicht könnte sie mir ja Tipps geben, wie ich den Rand meiner Pizza luftiger backen könnte, wenn sie meine Einkäufe sieht, eins und eins zusammenzählt, mein Vorhaben erkennt. Möglicherweise wäre sie auch bereit Witze zu machen, einfach so, weil sie morgens mit jemandem gemütlich Frühstück hatte, der Tag gut begann.
Stattdessen die immergleiche Bewegung, maximales Tempo, ständige Beobachtung und Anforderung von Filialleiter und Kunden. Ich bewunderte, wie sie so ruhig bleiben konnte, stellte mich Amok laufend vor, Tote im Supermarkt, rotes Blut auf farbigen Etiketten, Köpfe, die auf dem Förderband ihrer Identifizierung entgegen rollen. Realität wäre ich an ihrer Stelle.
Endlich konnte ich mich meiner Last erledigen, bald würde ich dran sein. Ein Mann vor mir in Anzug und Krawatte kaufte gross ein. Brot, Teigwaren, Fertigsaucen, Fleisch, Salami, darunter Kondome, Wein und Bier, konnte ich ausmachen. Er bezahlte mit seiner Visakarte, während er telefonierte.
Sie lächelte mich an, sechzehn dreissig bitte. Ich gab ihr zwanzig, erhielt das Wechselgeld, packte meine Sachen in eine der dünnen Plastiktüten und ging. Draussen hatte ich ihr Gesicht bereits wieder vergessen. Ich glaube sie war blond gewesen, nächstes Mal werde ich mich besser achten müssen, denke ich, wieder einmal.
Das war es also, mein Leben. Nicht schlecht eigentlich, habe mich nie beklagt. Jahrelang irgendwie über Wasser gehalten, Gelegenheitsjobs, Erniedrigungen, Mindestlöhne, Frauen getroffen, wieder verlassen, rastlos, ein Geist. Unfähig mich anzupassen, nieder zu lassen, alleine unter Tausenden von Menschen. Nie habe ich mich geöffnet, jemanden in mein Vertrauen gezogen. Ich brauchte meine Freiheit. Niemand sollte mich behindern, beeinflussen, mich kennen.
Rücksicht zu nehmen bedeutet Verzicht. Aufgeben seiner Ideale für Kompromisse. Zwischenlösungen, die beide Parteien befriedigen sollen, damit sie sich weiterhin in die Augen sehen können, sich achten. Regeln, die sie entwickelt haben, ohne darüber nachzudenken. Wurde als Egoist bezeichnet, beschimpft, beneidet. Ich konnte aufstehen, gehen, niemals wiederkehren, eine neue Identität annehmen. Kinder zeugen, die niemals ihren Vater kennen würden.
Ich bin stolz darauf, keine Verpflichtungen eingegangen zu sein. Immer unterwegs, niemandem Rechenschaft schuldig, habe ich die Welt gesehen. Kulturen kennen gelernt. Mich ausgetauscht, mitgeteilt. Niemals eine Arbeit erlernt trotzdem meinen Teil beigetragen. Es ging mir nie um Karriere. Unverstanden in einer harmonischen Welt der Regel, Verordnungen, Steuern.
Und jetzt liege ich hier, in einem Bett, das ich nie zuvor gesehen habe, niemals drin gelegen bin. Eine Frau und ihr Mann stehen am Bettrand, sehen mich an. Ich bin zu schwach ihren Blick zu erwidern. Unerwartet wurde ich zurückgerufen, mitten auf meiner Reise zu einer Pause gezwungen. Zusammengebrochen, unfähig wieder aufzustehen, auf der Strasse liegend, den Verkehr fühlend, ohne zu sehen, wie er an mir vorbei zog, in einem Tempo, das ich niemals wieder erreichen würde.
Irgendwann hatte jemand angehalten, mich mitgenommen, eingeladen. Aus Mitleid, Verpflichtung, Schuldgefühlen, ich wusste es nicht. Versuchte mich zu erheben, selbst zu stehen, nicht abhängig zu sein und wurde schwächer. Erinnere mich kaum noch an die Hinfahrt, daran, wie sie mir eine Suppe bereitete, während er über mein Lager wachte. Ein Felsen, nicht zu verschieben, erst recht nicht mit Blicken, die er nicht zu deuten wusste, die ich nicht zu senden vermochte.
War ich Ihnen zur Dankbarkeit verpflichtet? Hätten sie mich nicht gerettet, wäre ich elendig im Strassengraben verreckt, wie ein angefahrener Elch, Reh, oder eine ähnliche Kreatur? Gestorben um als Gulasch zu enden? So lange gekocht, bis auch die zäheste Masse weich, verzehrungswürdig wird. Er sah mich an, kannte mich und sämtliche Antworten, war sich seiner sicher, hatte den richtigen Weg gewählt und war in Würde und Zufriedenheit alt geworden.
Auch ich kannte ihn. Heirat mit zweiundzwanzig, Bausparvertrag mit fünfundzwanzig, Kinder mit achtundzwanzig, Rente mit fünfundsechzig. Ein Leben in Zahlen zusammengefasst. Arbeit, Alkohol, Sex, Derrick jeden Dienstagnachmittag. Das immergleiche Essen derselben Frau, die nie wagte sich zu entfalten, aus Angst alles würde zerbrechen.
Sie flösste mir Hühnerbrühe aus echtem Huhn ein, er lächelte Wohlwollend, hatte schon so manche Grippe dank ihrer Pflege überstanden, kannte ihre Hausmittel, freute sich, dass sie auch andern halfen, war stolz auf sie. Liebte sie oder hatte sich daran gewöhnt. Ein Leben in der Rückblende, zusammengefasst in der Gegenwart, eine Situation, ohne Worte, mehr Inhalt als jedes Buch. Blicke, Berührungen oder deren Abwesenheit, zeichneten ein klares Bild. Harmonie.
LASST MICH IN RUHE!
Jede Faser meines Körpers sträubte sich, lag ich falsch? Hatte ich mich ein Leben lang geirrt? Auf einmal beneidete ich diese Vorstadtgartenzwerge, Falschwähler und Unwichtigtuer. Was hatten sie, das mir versperrt blieb. Weshalb konnten sie glücklich werden, obwohl sie kaum lebten, keine Gedanken darüber machten, was es bedeutet eine Persönlichkeit zu haben.
Die Flucht ins Nichts der Masse als einzige Möglichkeit mit sich ins Reine zu kommen? Zu abstrus, undenkbar für mich und doch wahr, bewiesen hier in diesem Haus, das ich nicht kannte, von Menschen, die ich nie zuvor gesehen hatte und mir doch mehr bedeuteten als ich mir selbst je zuvor. Mein Leben.
Langsam brach die Dämmerung an. Rötliches Licht flutete die Stadt, tauchte für einen kurzen Augenblick das Grau der Fassaden in ein rostrotes, fleckiges Licht. Leer lagen die Strassen vor K., nur manchmal sah er dunkle Schemen, hörte dumpf Schritte irgendwo, doch kaum hatte er sie ausmachen können, waren sie auch wieder verschwunden. Abgetaucht im milchigen Nebel und der Dunkelheit der engen Gassen.
Die Ruhe war vollkommen nur das tiefe Brummen der Strassenlaternen störte, auch deren Licht. Er mochte diese jungfräuliche Zeit des Tages, während der das hektische Leben der Stadt noch schlief, in Häusern, in warmen Betten. Zu zweit oder alleine. In all diesen dunklen Zimmern, an denen er vorbei lief, bis zu fünfzig Menschen in einem Haus.
Er hatte es nicht weit bis zur Arbeit, fünfzehn Minuten zu Fuss, bis zum Strassenbahnhof, eine alte Halle mit hohen, verzierten Fenstern. Meist fuhr er die Nummer elf, quer durch die Stadt. Die erste Bahn des Tages. Die Erste, welche die Stille durchbrach, Menschen zur Arbeit, Nachtschwärmer nach Hause brachte. Kaum Autos auf den Strassen, nur die parallel, endlos verlaufenden Schienen.
Normalerweise nahm er einen kleinen Umweg, an einer Backstube vorbei, pochte ans Fenster, sie kannten ihn bereits, gaben ihm dann ein frisches Brötchen mit. Heute sogar einen Krapfen. So schlenderte er essend zur Arbeit. Nur noch ein paar Blöcke.
Plötzlich durchbrach grelles Licht den Nebel, zwei Lichtpunkte kamen auf ihn zu, Motorenlärm wurde immer lauter. Er blieb reglos stehen, beobachtete, wunderte sich. Dann war der Wagen nur noch fünf Meter entfernt, beschleunigte noch immer, direkt auf ihn zu, schoss dann nach links aus, schlingerte und blieb in einer Mauer stehen. Deplazierter, betäubender Lärm hallte nach, Metallteile barsten. K. rannte auf das Wrack zu, um nach dem Fahrer zu sehen, blieb aber auf halbem Weg stehen. Hinter dem Wagen lagen Geldscheine auf dem Boden. Er besah die Ladung, mehrere Säcke, einer war geplatzt die anderen heil.
Er bemerkte Geräusche, Fenster öffneten sich, Menschen waren geweckt worden. Jemand rief, erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei, aber bewegte sich nicht. K. wusste er konnte jetzt nicht nachdenken, entweder oder, sagt er sich, griff nach einem der Säcke und rannte, weg, irgendwohin. Die Richtung war egal, war jetzt nicht mehr wichtig, darauf war er nicht mehr angewiesen, die letzte Hürde zur Freiheit war genommen. Die einfachste und trotzdem kaum passierbare. Möglicherweise war er jetzt reich.
Er bemerkte, dass er in Richtung Bahnhof lief, er hielt, schaute sich um, bog links ein und verschwand in der Aufkommenden Helligkeit. Der Nebel begann zu lichten, ein warmer Herbsttag kündigte sich an.
Ich fahre wie immer, der Verkehr fliesst ruhig vor sich hin, mein Fahrrad solide. Ein Rennrad, dünne Reifen und seltsame Lenker, aber super Fahrgefühl. Mit Leichtigkeit überhole ich schwitzende Gelegenheitsradler. Behände überfahre ich Tramschienen, ohne Hängen zu bleiben, ohne wie ihre Fahrer alle paar hundert Meter stehen zu bleiben um auf andere zu warten. Freiheit, Unabhängigkeit, immer habe ich sie gesucht, nie gesehen, zerbrochen am Zwang und jetzt ist sie da, bis ich ankomme, irgendwann.
Bis ich vor der Migros stehe, denn Eier, Brot, vielleicht noch ein Flasche Sirup, Blutorange oder Exotik, brauche ich. Dann Bezahlen, mit der Postkontokarte, ein virtueller, überschaubarer, registrierter Geldtransfer.
Doch jetzt trete ich noch in die Pedale, eine Steigung hoch und auf der anderen Seite gelassen wieder herunter, ich habe es nicht eilig. Nach dem Einkaufen könnte ich möglicherweise noch Freunde besuchen. Ganz ungezwungen, reden über sich, die andern, die Welt, uns, unsere Beziehung zur Welt, über alles. Zusammen Rotweintrinken. Ein Getränk mit Kultur, und berauschender Wirkung für zweineunundneunzig im Marktkauf, gar nicht mal so teuer, billiger noch als Bier.
Noch diese Brücke und dann der Kreisel, schon bin ich da. Weihnachtsbeleuchtung ziert noch immer die Brüstung, am Tag hängt sie nur schlaf da, ohne Licht, ohne Sinn. Im Sommer springen Menschen ins Kühle nass, jetzt liegt es einsam da, vor sich hin fliessend, mehrere Kilometer in der Stunde, ich beneide ihn, den Fluss. Er wird irgendwann im Meer verschwinden und die ganze Welt sehen.
Ich sehe bereits das grosse M, kennzeichnend, jeder Schweizer weiss, hier kann eingekauft werden, für relativ wenig Geld. Immer die selben Produkte, egal welcher Standort. Kurz rein, schnell wieder raus, nachdem aus den Regalen mit geübten Griffen die benötigten Grundmittel herausgegriffen wurden. Der einzige Risikofaktor ist die Kasse. Wo anstehen? Bei der kürzeren aber beladeneren Kasse oder doch links hinter dem alten Mann, der bereits jetzt sein Kleingeld zusammensucht weil er sonst alle aufhalten würde, was im peinlich wäre. Danach nach hause, Produkte verbrauchen und wieder von vorne beginnen.
Noch eine Kurve und ich bin da. Schwungvoll versuche ich ihr zu folgen, richte mich halb auf, um die Geschwindigkeit besser zu nutzen, übersehe den Stein am Strassenrad, fahre genau darüber, verliere meine Balance. Beide Räder rutschen mir nach rechts weg in Richtung Bürgersteig, ich falle, ohne mich aufzufangen, weil ich immer noch nicht realisiere was passiert, auf die Strasse, Autos hupen, Bremsen quietschen, ich schlage mit dem Kopf auf, bleibe liegen, sehe nichts mehr nur noch Schwarz. Zum Glück habe ich nicht auf die Helm tragenden Sicherheitsfanatiker gehört. Schmerzen habe ich keine, ich bin nur in grosser Erwartung.
Schwierig frohen Mutes vorwärts zu blicken. Ich fühle mich besser und verdammt übel gleichzeitig. Aber ich weiss, dass es richtig war Schlussstriche zu ziehen, damit ich mich aus diesem Zustand der unglaublichen Freude, aber auch schwer zu ertragender Trauer, der mich noch immer mit ihr verband, zu lösen.
Ich mag sie wirklich, so sehr, dass ich nicht möchte, dass das vorübergehen und in Missbilligung, sogar Hass übergehen könnte, wie so viele Beziehungen, die zerbrechen. Lieber sehe ich sie nicht mehr, zumindest für die nächste Zeit, damit wir uns irgendwann befreit, vielleicht sogar als Freunde, oder zumindest als Menschen, die sich gegenseitig achten, vor die Augen treten können.
Ich will nicht abhängig von den Launen einer anderen Person sein, weil mir die Zeit mit ihr mehr bedeutet als mein eigenes Wohlergehen danach und ich möchte sie so in Erinnerung behalten, wie ich sie liebe und immer lieben werde, auch wenn sicherlich andere Frauen in mein Leben treten werden. Ich will dann sagen können, meine erste Freundin hat mich weiter gebracht und nicht kommende Betrachtungen aller Beziehungen zerstört.
Ich vertraue gerne einem Menschen. Dieses Gefühl der Sicherheit, des Haltes inmitten einer unhaltbaren Gesellschaft, von der ich nur mit grösster Mühe ein Teil sein kann, stärkt, baut auf, lässt mich vieles Ertragen von dem ich nicht wüsste, wie ich sonst damit fertig werden sollte. Das nicht nur für Liebesbeziehungen, überhaupt nicht. Diese sind nur eine ungemein Stärkere und unmittelbarere Form freundschaftlicher Verhältnisse. Eine Form, die dermassen intensiv ist, dass sie ungemein strapaziert und unter andauernder Spannung steht, so dass unglaublich schnell alles ändern kann.
Gefühle sind unkontrollierbar, spielen nicht mit dem Verstand mit, haben ein Eigenleben und beeinflussen uns dermassen fest, dass ich es manchmal kaum aushalte. Auch jetzt. So gerne ich auf meine Gefühle höre, ich muss jetzt mit dem Verstand arbeiten, mich zurücknehmen, Dinge sagen, die ich eigentlich gar nicht sagen möchte. Ich will sie nicht nicht mehr sehen. Im Gegenteil. Ich wüde jetzt gerne sehen, egal ob wir uns ernsthaft unterhalten, Witze machen, uns umarmen oder was auch immer. Aber ich kann nicht, darf nicht. Will nicht?
So schnell verblassen existierende Dinge zur Erinnerung und so lange ist der Prozess, dass ich diese als Erinnerung akzeptieren kann. Als schöne Erinnerung. Ich kann es noch immer nicht, aber ich würde gern.
Vielleicht liest du das ja auch irgendwann, vielleicht geht es dir ähnlich, aber trotzdem wird es anders für dich sein, weil wir uns in anderen Phasen befinden, die nicht mehr miteinander funktionieren, leider. Bedauerlicherweise musste es so sein und ich bin dir weder böse, noch beleidigt oder sonst etwas. Traurig bin ich, muss ich sein nach so vielen Monaten der Freude.
Jetzt beginnt ein neuer Abschnitt in meinem Leben, der Übergang ist vorbei, die Grenze gesetzt. Ich will mir nichts mehr vormachen, nichts mehr bedingt geniessen. Es ist meine Zeit aufzuwachen und mich auf den Tag zu freuen, ich weiss noch nicht wie, aber ich lasse es auf mich zukommen.
Danke für alles, heute werfe ich meinen Sarkasmus, meinen Hass über Bord, weil du es verdient hast.
Wieder war die Ampel rot. Wie jeden Morgen. Wieder fragte er sich, ob es überhaupt jemals vorgekommen war, dass er direkt hatte durchfahren können. Jeden Tag, zweimal eine halbe Stunde Weg. Immer der gleiche. Er hatte bereits versucht Variation einzubringen, ging bei Muttenz von der Auobahn, fuhr kleine Strassen durch Dörfer, war erst nach 50 Minuten in Olten. Und auch noch unbezahlt, die langweiligste Stunde des Tages ein Stück seiner Freizeit. Fünfunsvierzigstundenwoche, mindestens.
Endlich grün. Motoren starteten, zig Tonnn Blech und ein paar hundert Kilo Fleisch sezten sich in Bewegung. Und dann wieder rot. Zwei Wagen vor ihm. Wieder steckt er fest. Aber eigentlich kam es gar nicht drauf an, er wusste sowieso, was ihn erwarten würde kannte alle Abzweigungen, die er passieren würde, hatte bereits alle Schilder gelesen, konnte jederzeit sagen, wie weit Zürich oder Bern noch entfernt waren, ja manchmal erkannte er sogar Wagen wieder, die ihn öfters auf der Autobahn überholten. Kam es dann darauf an, ob er jetzt fest sass oder nicht?
Selbst wenn er früher ankäme, auch da wusste er was ihn erwarten würde, die immer gleichen Arbeitskollegen, Sprüche, die niemand lustig fand, darum lachten alle. Kaffe aus dem Automaten ohne Geschmack. Sein Arbeitsplatz. Der Schreibtisch aus schwarz lackiertem Holz, Ikeastandart. Pause von viertel vor neun bis neun, von zwölf bis eins und dann am Nachmittag von halb vier bis viertel vor vier, oder vier, wenn der Chef nicht da war. Der Rauch hastig gerauchte Zigaretten in den Aufenthaltsäumen schwebend. Menschen, die anriefen, von ihm erwarteten, dass er sich freundlich gab. Und das tat er auch. Er war der langjährigste Mitarbeiter.
Plötzlich ein Aufschrei, eine Kinderstimme überschlug sich, der Klang von Tränen und Trotz. Ein Mann rief verärgert. Seine Stimme hörte sich nach Prügel, Sadismus, Besserwisserei an. Dann rannte das Kind quer über die Strasse, Reifen quietschten, Fahrer hupten, weil niemand ihr Fluchen hören konnte. Der Mann, langbeinig, sprintete hinterher, packte den Verfolgten, kaum hatte er den Bürgerseig erreicht, umschlang ihn mit breiten Armen, die Tritte des unkontrolliert umsichschlagenden Opfers ignorierend und trug ihn fluchend zurück.
Da schaltete die Ampel auf Grün, es musste weiter gefahren werden. Niemand schenkte der Szenerie beachtung, nicht mein Leben. Auch er fuhr weiter, aus einem Automatismus heraus. Doch sein Bewusstsein nahm die Strasse kaum war. Was, wenn das Kind entführt worden war? Oder misshandelt? War der Mann der Vater gewesen? Vielleicht war er ein Nachbar, der sich dann und wann um das Kind kümmerte, weil die Mutter die meiste Zeit arbeiten musste, ihm Geschenke machte, nett zu ihm war, bis er sich des Vertrauens der Familie sicher war und sich seiner Lust hingeben konnte. Eine gesunder Verstand für immer zerstört, tiefe Gräben gezogen, die sich nicht mehr schliessen liessen. Nie mehr.
Weshalb hatte er nichts unternommen? Er hätte austeigen, auf den Mann zugehen, ihn zur Rede stellen können. Der Mann wäre durchgedreht, hätte ihn angegriffen. Doch er hätte den Angreifer mit einer geschickten Seitwärsbewegung straucheln lassen, ihm die Handkante in den nacken geschlagen und ihn getreten. Schwärze, tiefe Ohnmacht, ein spätes Erwachen in einer Zelle.
Er hätte das Kind zur Mutter gebracht, eine unglaubliche Attraktive Frau, ledig, auf der Suche. Sie wäre ihm unendlich dankbar gewesen, so dankbar, dass er nach zwei Monaten eingezogen wäre. Nach der Heirat hätte ihm der Schwiegervater eine leitende Position in seiner Firma angeboten mit nur zehn Minuten Arbeitsweg. Mit achzig wäre er dann zufrieden gestorben. Seine Frau ein halbes Jahr später.
So schnell kann man eine Chance verpassen, aber immerhin war diesmal die Hinfahrt erstaunlich kurzweilig, dachte er, stieg aus, warf seine Gedanken ab und ging zur Arbeit.
Sie ist etwa Ende zwanzig, hübsch, schlank, eine Thailänderin. Er ein urchiger Schweizer gegen die fünfzig. Sie beide schlendern durch die Manor. Er hat vor im vierten Stock die neusten Computermodelle zu bestaunen, sie läuft einfach mal hinter ihm her. Ohne Ziel, perspektivenlos. Bis sie eine um 50% reduzierte Lacoste Tasche inmitten einem Haufen anderer Accessoires neben der Rolltreppe entdeckt. Die Freude währt nur kurz. Mit einem knappen „Du willst sie doch sowieso nur wegen dem Krokodil“ ist die Sache erledigt.
Die Rollenverteilung ist klar, ich bin der Boss, du meine Frau, ich habe das Sagen. Vor fünf Jahren hat er sie in Thailand kennen gelernt. Sie arbeitete damals als Putzfrau, kam mehr schlecht als recht durch, hatte bereits einen Sohn, von dem ihr jetziger Mann nichts weiss, der bei den Grosseltern aufwächst und dem sie wann immer möglich Geld zukommen lässt. Der eklige Schweizer Bierbauch auf zwei Beinen war ihr Einwegticket in den Luxus einer anderen Welt. Deshalb umgarnte sie ihn mit allen Mitteln ihrer nicht zu knappen Weiblichkeit, liess sämtliche Praktiken an sich ausprobieren, hatte immer Lust, verkaufte ihren Körper.
Ein zärtlich geflüstertes I-love-you im Bett. Anlächeln, Mit der Hand vom Gesicht bis zum Bauchnabel fahren. Ein Kuss auf die Stirn. Theater, das wusste auch er. Aber zu lange war er alleine gewesen, war abgewiesen worden, wenn er sich einer Frau näherte. Durch berufliche Hingabe war er mittlerweile zum Bauleiter aufgestiegen. Trotzdem hatte er jeden Abend alleine ferngesehen. Manchmal war er auch am Fenster gestanden mit seinem Bier und hatte spielende Kindern und vor allem deren Mütter im Hinterhof beobachtet, bis er irgendwann nach mehr Ruhe ausrief und sich danach noch schlechter fühlte. Sein Körper hatte sich gemeldet ihn in die Rotlichtbezirke der Stadt geführt. Immer und immer wieder und jedes Mal fühlte er sich danach ausgelaugt und dreckig. Dann beschloss er endlich mal in Urlaub zu fahren.
Vielleicht wird sie sich in mich verlieben, denkt er, wenn sie nur genügend Zeit mit mir verbringt und meine Qualitäten entdeckt. Er gab sich Mühe, zumindest anfangs. Die Beziehung funktioniert, er fühlt sich besser, trotz Routine.
Sie vermisst die Heimat, aber hat ihn mittlerweile lieb gewonnen, solange sie genug Zeit für sich hat, regelmässig trifft sie sich mit anderen Frauen aus Thailand...
Vielleicht liege ich auch total daneben und sie lieben sich wirklich und sind nur deshalb zusammen. Zu schnell kommt man ins Spekulieren, wenn man Fremde sieht und sich deren Geschichte überlegt. Vielleicht bin ich unfair und kategorisch. Möglicherweise habe ich auch ins Schwarze getroffen. Fragt sie, wenn ihr sie sehen solltet, ich bin leider schweigend weiter gelaufen. Raus aus der Manor.
Ich habe Silvester mehr oder weniger heil überstanden. Wie ich das geschafft habe? Ich staune noch immer. Was ich alles gmacht habe? Ich weiss es nicht.
Irgendwann gegen fünf, habe ich in meinem Büro gemütlich für mich alleine mit dem Eintrinken begonnen und meine Gedanken zu Silvester aufgeschrieben. (siehe Einunddreissigsten Zwölften Zweitausendundfünf) Da war die Welt noch in Ordnung, ich in Frieden mit mir selbst, voller Vorfreude auf eine grosse Party, die Ruhe oder abwechselnd die gute Musik (Maritime: Glass Floor) um mich geniessend. Das hielt ich so etwa zwei Stunden, respektive drei Bier lang aus.
Doch dann wurde ich jäh aus meiner Idylle gerissen. Man verschleppte mich zu einem ausklingenden Abendessen, oder besser Diner, französisch elegant ausgesprochen, in der Nähe des Zoos. In einer Wohnung, die so eingerichtet war, dass Vorhänge und Wasserhähne zusammenpassten. Alles sah so teuer und sauber aus, ich hatte Angst mich zu setzen, meine harten Jeans könnten das weiche Leder der Polstergruppe zerkratzen.
Die Wohnung gehörte, wie ich später erfuhr, einem Chirurgen und die mit wirklich sehr seltsamem Schmuck geschmückte Vogelscheuche, die mich rein gelassen hatte war seine Tochter, die sich jetzt als kultivierte Gastgeberin aufspielte. Der Clubtisch, auf dem auch gegessen wurde, stand ihren Körperverzierungen in nichts nach. Sternchen und Tropfen aus Plastik waren mit ungeschickter Hand verstreut worden, wie das Saatgut auf einem Acker. Immerhin die einzige persönliche Note. Der Rest der Einrichtung waren vorwiegend Afrikanische Kunstwerke. Kolonialistenstyle. So stelle ich mir reiche Briten gegen Ende des 19 Jahrhunderts vor. Alles topmodern und dazwischen ein Paar Souvenirs, die man einem Afrikaner geklaut hat, als er versklavt wurde. Sozusagen Trophäen, die Köpfe darf man ja nicht aufhängen, die gehören zu den Händen und diese wiederum werden benötigt.
Sinatra der alte Chauvi proletete irgendwo im Hintergrund halblaut über Liebe. Das war sogar gescheiter als der Rest der Unterhaltungen. Sieben Menschen, keiner hat was zu sagen, sitzen um einen Tisch. Es war so still und unangenehm, am liebsten hätte ich lautstark gefurzt. Drei hätten sich amüsiert für die andern wäre ich das primitive Schwein gewesen. Und das lag gar nicht im Sinne dieser Runde. Die waren derartig kultiviert, wenn die genug Geld gehabt hätten, wäre das Essen wahrscheinlich im Stucki zelebriert worden. Die Schütteten sich sogar das Bier in ein Cocktailglas. Welch Blasphemie. Manche schlürften Lychee, dieser Alkoholische Sprudelsirup aus Champagnergläsern. Na ja, solange es so aussieht als ob.
Nach einer ewigen halben Stunde wurde es uns Normalos zu bunt, dieses perverse Treiben. Wir flohen, irgendwie. Nachdem ich fertig angezogen fünf Minuten schweigend im Gang gestanden war, weil irgendeiner meiner Begleiter sich einschleimen und eine gewaltige Abschiedszeremonie halten musste, brachen wir aus, aus diesem Sumpf von Erwachsenheit, Zivilisation und Unterdrückung. Nur weg ins Brasilea.
Vom Regen in die Traufe nennt der Volksmund das. Nach einer halben Stunde anstehen, kamen wir kurz vor vierundzwanzig Uhr rein in die begehrte(?) Partylocation am Rhein. Begrüsst wurden wir von einem Rohrbruch, der das halbe untere Stockwerk verpfützt hatte. Scheisegal, ich hatte eh schon nasse Füsse. Die Garderobe war gratis. Ein Pluspunkt.
Das Brasilea ist ein Mehrstöckiger Komplex ohne Seele, weil liebloser Neubau. Es war gestopft mit sämtlichen Exponaten der Baslerparty Unkultur. Leute, die ich kaum kannte gratulierten mir zum neuen Jahr, ich hielt plötzlich Champagner in den Händen. Immerhin. Frisch gestärkt erkundet es sich leichter. Mehrere Stockwerke und eine Dachterrasse boten wunderbare Rassentrennungsmöglichkeiten. Ich pilgerte hoch und runter, immer wieder. Der Dancefloor schiss mich richtig gehend an, weil die Musik Unterste war und Platz gab es sowieso keinen.
Mittlerweile hatte ich mich in einen Zustand alkoholisierter Depression und Ekels gesoffen. Lachende Gesichter verschwammen vor meinen Augen zu nichts sagenden Masken, denen ich am liebsten ausgewichen wäre, es aber nicht konnte. Da war kein Platz mehr. Sie waren überall. Eine Invasion der lebenden Toten. Nichts wie raus hier. Wo ist mein Schrotgewehr?
Hilfe. Sie wollen mich mit verseuchen ihrem Treiben beizuwohnen. Ein leeres Gejauchze und Gebalze bis um Vier und dann ficken bis in den Morgengrauen. Happy New Year, ihr... Mir fehlen die Worte. Ich bin sprachlos, deplaziert. Meine Selbstironie reicht nicht mehr aus, dieses Treiben gut zu heissen. Ich verliere mich, vereinsame in mitten von hunderten von Leuten. Schritt für Schritt zurück, bis ich mit dem Rücken zur Wand stehe. Umzingelt von potentiellen Freunden, die mich zu erdrücken suchen. Ich gehe unter in einem Meer von Persönlichkeiten, dem ich nichts entgegenzusetzen habe.
Und dann meine Ex. Plötzlich steht sie kaum zwei Meter entfernt, unterhält sich mit irgendwem, beachtet oder sieht mich nicht. Scheisse, das hat mir noch gefehlt. Ich bin betrunken, deprimiert, habe kaum mehr Kurzzeitgedächtnis und dann steht da die Hauptursache meiner Krise. Ein ungezwungenes Anlächeln. Scheisse sieht sie gut aus, denke ich. Warum wurde ich mit Gefühlen bestraft?! Welcher Sadist gab mir diese Fähigkeit?
Ich bin unfähig mich zu bewegen, möchte fliehen und werde von ihr in den Bann gezogen. Mein Körper muss bleiben, mein Geist ist sonst wo, ich finde ihn nicht mehr. Er schwebt über meinem Kopf und lacht mich aus. Plötzlich ist sie ganz nahe, redet zwar kaum mit mir, aber unsere Körper berühren sich. Ihre Freundinnen versuchen mich zu Gesprächen zu animieren, aber ich rede nicht gerne, wenn ich meine Aufmerksamkeit nicht zu Hundert Prozent einer Person widmen kann. Ich schrie, dermassen laut, dass mich niemand hören konnte. Das war’s, es hatte keinen Zweck mehr, entweder zerstörte ich mich im Minutentakt, jedes Mal ein bisschen mehr oder ich musste raus. Raus aus der anonymen Masse, deren einziger Rettungsanker, die Leine durchgeschnitten hatte. Ein flüchtiges Lebwohl, verliess ich wissend alles falsch gemacht zu haben diesen Container gefüllt mit menschlicher Natur.
Ich Idiot, stehe mir selbst im Wege, unfähig meine Launen auszuleben und wenn, dann so, dass mich niemand versteht und ich nur kopfschütteln ernte. Toll macht doch was ihr wollt, ich nehme mir nichts vor fürs Neue Jahr. Korrumpieren lasse ich mich nicht.
Auf dem Rückweg lief ein Film ab, ich sehe mich wieder untätig da stehen. Mich selbst hassend, die anderen verachtend. Nie sah ich mich als etwas Besseres. Bin wie ein Hund, nicht ganz stubenrein, unfähig über längere Zeit die Maske der Zivilisation zu tragen. Warum habe ich nicht mit ihr geredet, ihr meine Situation und Empfinden erklärt, statt mich selbst aufzufressen, bis nur noch eine leere Hülle blieb. Etwas Leeres kann nicht sprechen, so konnte auch ich nicht mehr reden, nur noch schweigen und da stehen. Jetzt war ich der Zombie. Kein Wunder wollte niemand etwas mit mir zu tun haben. An Silvester wird getanzt und gelacht, nicht geschwiegen und auf keinen Fall geweint.
Endlich zu hause. Zwei Freunde schauten noch vorbei. Mit sinnvollen Dialogen und anschliessend einem herzerwärmendem Film, Alles auf Zucker, in den Morgengrauen. Danke. Ich bin nur halb der Held, der ich gerne wäre.
Da geht es hin, das Jahr 2005 nach unserer Zeitrechnung. Wären wir in China verliesse uns 4703, Jahr des Hummers, wenn auch erst am 29. Januar 2006. Für viele ist der Jahreswechsel ein epochales Ereignis. Für mich eher mühsam, klar es gibt wieder mal so richtig Party, hoffe ich zumindest. Aber danach die Zeit bis man sich endlich dran gewöhnt hat nicht mehr 2005 sondern 2006 zu schreiben, obwohl ich gedanklich immer noch irgendwo im 99 rumhänge.
Champagner mag ich nicht. Dieses prickelnde, süsslich herbe Rauschschmiermittel, bereitet mir Kopfschmerzen. Kein Wunder wird das Zeugs an Silvester regelmässig gratis ausgeschenkt und natürlich werde ich wieder nicht widerstehen können und irgendwann wie eine Biene auf Speed, benebelt vom Bonzenbier, Stuss lallen.
Freifuselchampagner, das beste Mittel für lang anhaltende Kopfschmerzen. Vor kurzem wurden die Weltweit teuersten Champagnerflaschen versteigert. 4000 Dollar pro Flasche Dom Pérignon, Jahrgang 1921. Wer kauft sich so was? Reiche Protzen, Liebhaber edler Tröpfchen? Ist das eine kultiviertere Version des Peniswahns, der sich ausnahmsweise nicht in einer gewaltigen Karre entlädt? Gibt es irgendwo einen reichen Sonderling, der es sich jeden Silvester in seiner Schlossstube mit einer Zigarre für 135 Dollar (Arawak President) in der Einen und Dom Pérignon in der andern Hand vor dem Fernseher gemütlich macht und „Dinner for One“ schaut?
Neuerdings kann man sich den Kultfilm sogar ins Haus holen. Laut der Basler Zeitung bieten sich einige Laiendarsteller an bei zahlenden Kunden zu Hause die ganze Performance des trunkenen Butlers live vorzuspielen. Dabei konnte ich bereits nach einem Mal nicht verstehen, was jetzt an diesem Einzeldinner dermassen lustig sein soll. Und das bei der offiziellen Profi Version, da will ich gar nicht wissen, wie so ein Möchtegern-Frinton über diesen bescheurten Bettvorleger stolpert. Schrulliger Pérignon-Milliardär müsste man sein, dann könnte man sich wenigstens Ian McKellen als Hauptdarsteller ins Haus holen. Schliesslich sieht der bereits als Gandalf wie ein Alkoholiker aus; das passt.
2005 Welch mystische Zahl, was für ein Jahr! Sowohl Weltpolitisch, wie auch persönlich. Menschen starben, andere wurden geboren, Liebesbeziehungen zerbrachen, möglicherweise entstanden auch Neue, Kriege begannen, das Klima spielte verrückt, Politiker schwatzen blöd rum. Es war also alles wie immer. Nichts ändert, nichts passiert, nichts hat Bestand. Oder trauert irgendwer noch Arafat nach oder Johannes Paul nach? Wen interessiert’s? Wen kümmert die Vergangenheit? In die Zukunft müssen wir blicken! Vorausplanen und nicht sentimental zurückschauen.
Da frage ich mich aber, wo bleibt die Gegenwart, das Jetzt? Weshalb feiern wir den Anbruch eines neuen Jahrs? Warum nicht den Anbruch einer neuen Sekunde? Jederzeit kann etwas total Unvorhergesehenes passieren, das wirklich zu feiern lohnt. Eigentlich liebe ich das Leben wirklich, aber es ist schwierig zu geniessen, wenn man nicht einfach spontan vor sich hin, von mir aus nennt es vegetieren, darf. Die Zeit war schon immer mein grösster Feind oder besser gesagt das, was wir aus ihr gemacht haben. Eine enge Einteilung in Sekunden, Minuten, Wochen, Monate, Jahre, sogar Jahrtausende. Wir unterjochen uns freiwillig, indem wir definieren, wann wir essen, schlafen, ficken oder Fern sehen sollen.
Und bloss weil jetzt Neujahr ist, heisst das, dass ich etwas neu anfangen soll? Mir Vorsätze vornehmen soll? Als ich mit meiner Ex zusammen kam und als sie mich verliess oder das Ende meiner ausbildung, das waren Neuanfänge und Umstellungen. Da kann man sich was vornehmen. Aber nicht wegen eines von Julias Cäsar um 45 vor Christus eingeführten Kalenders. Faszinierende Tatsache, die Jahre definieren sich anhand Christi Geburt und die Einteilung anhand der Römer. Wenn die Chinesen weiterhin derartig expandieren, nehmen wir sie vielleicht auch noch mit in den Kalender. Möglicherweise für die Einteilung der Tage. Stunden sind sowieso bescheuert. Das Dezimalsystem bleibt auf der Strecke.
Bald ist es soweit, die Uhr schlägt, die Party beginnt. Menschen werden einen Tag älter. 2006 ich warte. Wir alle warten! Feiernd. Das wird mein erstes Silvester in Basel. Das Millennium verbrachte ich noch Pingpong spielend im Jura, die anderen Jahreswechsel irgendwo in den Bergen. Aber von der Zeit kann man ja doch nicht fliehen und hier habe ich meine trauten Freunde zu einem grossen Teil versammelt. Das ist doch einiges! Party on...
Die Unruhe hatte mich wieder einmal gepackt. Zuerst mit Freunden in dieses seltsame Campingzelt der Campari Bar, das Innen so ausgestattet ist, dass man locker einen Gala Empfang bereiten könnte. Inklusive gekühltem Champagner und Austern auf einem eigenen Tischchen. Und wir verloren in einer Ecke auf wundervoll aussehenden, aber brutal unbequemen Sesseln sitzend, jeder ein Bier vor sich. Carlsberg; seit London hasse ich dieses Gebräu. Aber besser als nichts und deshalb runter mit!
Leider viel zu klein. Ich wüsste gern, welcher Idiot auf die Idee gekommen ist, Bier im Offenausschank auf einen Viertelliter zu verkleinern. Das ist keine Portion, das ist ein Fliegenschiss! Scheiss auf Eleganz, klotzen statt kleckern.
Aber wir sind ja schliesslich nicht auf den Kopf gefallen; deshalb Griff in die Tasche, und unterm Tisch nachfüllen. So geht das! Zwei Kleine ergeben ja wieder ein Grosses und neben all diesen Cüpli-Idioten muss man ja so vorgehen als kleiner Revolutionär. Fickt die Lokalprominenz und liefe mir die Oeri über den Weg, dann würde ich ihr meinen Sessel um die blondierten Haare schlagen.
Die Heizung, ein Standgebläse in der Zeltecke, ist dermassen heiss, dass man ein Würstchen dran braten könnte. Muss so sein, um ein Zelt, das mehr Kälte rein, als Wärme drin lässt, heiss genug zu halten, so dass sich die Gäste auch wohl fühlen. Soviel zum Thema Energieverbrauch in der Gastronomie. Zeit für die Initiative „ein eigenes Atomkraftwerk für Basel“. Den Überschuss, falls es denn welchen gibt, verkaufen wir Deutschland zu wundervollen Konditionen, darüber vergessen sie dann die Zollfreie und auch die Grünen hätten was zu feiern. Kaiseraugst darf sich so schliesslich nicht wiederholen, noch mehr angepasste Altlinke, bremsen sowohl den Kapitalismus, wie auch alternative Gesellschaftsformen. Das bringt nichts, entweder randalierende Jugendliche oder anzutragende Bankiers, aber eine Mischung funktioniert so nicht. Das hat bereits der Joschka bewiesen.
Nachdem wir eine gute Stunde da gesessen hatten, heiter, über Frauen, filme und Silvester diskutierend, löste sich die Gruppe auf. Das hiess für mich, raus in die Kälte und erst mal neu sammeln. Es war wirklich arschkalt. Also Stärkung, Coop Pronto, schwupps, ein formschönes Feldschlösschen in der Flasche gschnappt. Obwohl sie von Carlsberg aufgekauft wurden, noch immer meine Erste Wahl nach den naturtrüben Biobieren. Das war ich also, der rastlose, unzufriedene Säufer aus Passion, durch die Strassen der Innerstadt wandernd, auf der Suche nach irgendeinem Ereignis, das mich aus der Lethargie des Alltags befreien könnte.
Nichts passierte, meine leere Flasche endete in einem dieser viel zu kleinen, durchgestylten Müllaufbewahrungsbehältern am Strassenrand. Die Freie Strasse, sozusagen der Kudamm von Basel lag leer vor mir. Kein Licht, keine Menschen. Einkaufszeit ist vorbei, jetzt begibt sich die Allgemeinheit entweder vor den Fernseher oder in ein Café. Obwohl das Niveau und der Unterhaltungswert beider etwa gleich gross sind, so lockt doch das Café mehr, weil näher.
Also in den roten Engel, das einzige Café, das gute Produkte und eine intime Atmosphäre besitzt. Ideal um alleine hinzugehen, denn man kann den andern Gästen zuhören.
Nicht mit passiv heute, ich musste, oder wollte vielleicht, aktiv ran. Da sassen bereits drei weibliche Kumpels von mir an einem Vierertisch in trauter Runde, bereit mich aufzunehmen. Wunderbar. Ich liebe Unterhaltung. So sass ich jetzt an einem gemütlicheren Ort mit anderen Leuten und vor allem mit richtigem Bier (Tannzäpfchen aus dem Schwarzwald) an einem richtigen Tisch und nicht so einem Clubtischchen, auf dem gerade mal ein Glas Champagner und eine winzige Portion Erdnüsse Platz haben. Eigentlich gemütlich und ich fühlte mich auch wohl, begann damit Witze über die Kantone und Dialekte zum Besten zu geben, betonte wie primitiv Harry Potter im vergleich zu Momo sei. Ich glaube ich war relativ verletzend, wenn man mich ernst genommen hätte. Aber wer derartigen Blödsinn ernst nimmt ist selber schuld.
Ich glaube das nennt man Entertainment oder so was. Hat nicht wirklich viel mit einem Gespräch zu tun, wenn man den anderen nicht zuhört und auch wenn man keine Ahnung hat trotzdem weiter redet. So gesehen habe ich das Fernsehen in ein Café gebracht. Keine schlechte Leistung, nur ist eine Late Night Talkshow in einer Viererrunde wohl ziemlich fehl am Platz. Aber eigentlich ist mir das egal. Ich konnte wieder mal absolut politisch unkorrekt, asozial und abstossend sein. Auch das ist zwingend nötig, sonst komme ich mir vor wie eine zu lang gekochte Spaghetti. Schlaff und weich.
Vom Papier ins Netz
Da sass ein Frau mit ihrem Sohn. Und irgendwie erinnerte sie mich an die Christiane F. vom Bahnhof Zoo. Sie sah zerfurcht und alt aus. Ihr Sohn, wenn er es denn war und nicht irgendein Neffe oder Liebhaber schien verloren in diesem grossen Café an seinem Sinalco nippend. Offensichtlich war er Skater. Er hatte zumindest ein Skateboard dabei. Das hiess heutzutage zwar nichts mehr, aber seines war zerkratzt.
Sie taten so, als würden sie sich unterhalten. Münder öffneten sich, Zungen formten Vokale und Lippen gaben dem ganzen einen Rhytmus, aber der Geist hatte nichts damit zu tun. Die Worte formten sich automatisch aus der Gewohnheit raus. Es gibt nichts schlimmeres als Schweigen zu müssen, wenn men nichts zu sagen hat. Deshalb erfand der Mensch die Zivilisation. Als riesiges Auffangbecken für jede Lebenslage.
Ich hasse Blogs.
Das ist nur was für selbstdarstellende Idioten, denen die Fantasie fehlt was Eigenes zu machen. Also für solche wie mich. Und dann sind die Einträge auch noch nach Datum geordnet. Was interessiert mich ein einzelner Scheisstag?!
Trotzdem ein Blog? JAWOHL! Genau darum. Warum kann man nicht einfach etwas beschissen finden und es dann trotzdem machen? Ihr nennt das inkonsequent, ich nenn es ehrlich. All diese möchtegern Stadtneurotiker oder Landnüsse wollen individuell sein, irgendwie auffallen, nur damit sie für sich selbst eine Begründung für ihre (natürlich viel zu kurze) Existenz haben. Das finde ich wirklich sehr löblich und kann ich auch nachvollziehen. Aber diese Welt ist mit gut 7 Milliarden Menschen bevölkert. Da gibt es keine Individualität. Da macht eh jeder dasselbe. Also kann ich auch grad so gut wie alle anderen ein Blog führen. auch wenn es ins Nichts führt.
Was ich noch sagen wollte. hier werden sich vielleicht irgendwelche Gedankenfragmente von mir finden. Nicht weil ich will, dass ihr die Lesen könnt, auch wenn ihr dürft, macht eh kein unterschied, wird sowieso beim nächsten Harry Potter Grosspektakel vergessen, sondern weil ich die ja auch irgendwie speichern muss und lose Blätter sind noch bescheuerter als Datumsgeordnete Blogs. So long Hasi...