San Silvestri
Da geht es hin, das Jahr 2005 nach unserer Zeitrechnung. Wären wir in China verliesse uns 4703, Jahr des Hummers, wenn auch erst am 29. Januar 2006. Für viele ist der Jahreswechsel ein epochales Ereignis. Für mich eher mühsam, klar es gibt wieder mal so richtig Party, hoffe ich zumindest. Aber danach die Zeit bis man sich endlich dran gewöhnt hat nicht mehr 2005 sondern 2006 zu schreiben, obwohl ich gedanklich immer noch irgendwo im 99 rumhänge.
Champagner mag ich nicht. Dieses prickelnde, süsslich herbe Rauschschmiermittel, bereitet mir Kopfschmerzen. Kein Wunder wird das Zeugs an Silvester regelmässig gratis ausgeschenkt und natürlich werde ich wieder nicht widerstehen können und irgendwann wie eine Biene auf Speed, benebelt vom Bonzenbier, Stuss lallen.
Freifuselchampagner, das beste Mittel für lang anhaltende Kopfschmerzen. Vor kurzem wurden die Weltweit teuersten Champagnerflaschen versteigert. 4000 Dollar pro Flasche Dom Pérignon, Jahrgang 1921. Wer kauft sich so was? Reiche Protzen, Liebhaber edler Tröpfchen? Ist das eine kultiviertere Version des Peniswahns, der sich ausnahmsweise nicht in einer gewaltigen Karre entlädt? Gibt es irgendwo einen reichen Sonderling, der es sich jeden Silvester in seiner Schlossstube mit einer Zigarre für 135 Dollar (Arawak President) in der Einen und Dom Pérignon in der andern Hand vor dem Fernseher gemütlich macht und „Dinner for One“ schaut?
Neuerdings kann man sich den Kultfilm sogar ins Haus holen. Laut der Basler Zeitung bieten sich einige Laiendarsteller an bei zahlenden Kunden zu Hause die ganze Performance des trunkenen Butlers live vorzuspielen. Dabei konnte ich bereits nach einem Mal nicht verstehen, was jetzt an diesem Einzeldinner dermassen lustig sein soll. Und das bei der offiziellen Profi Version, da will ich gar nicht wissen, wie so ein Möchtegern-Frinton über diesen bescheurten Bettvorleger stolpert. Schrulliger Pérignon-Milliardär müsste man sein, dann könnte man sich wenigstens Ian McKellen als Hauptdarsteller ins Haus holen. Schliesslich sieht der bereits als Gandalf wie ein Alkoholiker aus; das passt.
2005 Welch mystische Zahl, was für ein Jahr! Sowohl Weltpolitisch, wie auch persönlich. Menschen starben, andere wurden geboren, Liebesbeziehungen zerbrachen, möglicherweise entstanden auch Neue, Kriege begannen, das Klima spielte verrückt, Politiker schwatzen blöd rum. Es war also alles wie immer. Nichts ändert, nichts passiert, nichts hat Bestand. Oder trauert irgendwer noch Arafat nach oder Johannes Paul nach? Wen interessiert’s? Wen kümmert die Vergangenheit? In die Zukunft müssen wir blicken! Vorausplanen und nicht sentimental zurückschauen.
Da frage ich mich aber, wo bleibt die Gegenwart, das Jetzt? Weshalb feiern wir den Anbruch eines neuen Jahrs? Warum nicht den Anbruch einer neuen Sekunde? Jederzeit kann etwas total Unvorhergesehenes passieren, das wirklich zu feiern lohnt. Eigentlich liebe ich das Leben wirklich, aber es ist schwierig zu geniessen, wenn man nicht einfach spontan vor sich hin, von mir aus nennt es vegetieren, darf. Die Zeit war schon immer mein grösster Feind oder besser gesagt das, was wir aus ihr gemacht haben. Eine enge Einteilung in Sekunden, Minuten, Wochen, Monate, Jahre, sogar Jahrtausende. Wir unterjochen uns freiwillig, indem wir definieren, wann wir essen, schlafen, ficken oder Fern sehen sollen.
Und bloss weil jetzt Neujahr ist, heisst das, dass ich etwas neu anfangen soll? Mir Vorsätze vornehmen soll? Als ich mit meiner Ex zusammen kam und als sie mich verliess oder das Ende meiner ausbildung, das waren Neuanfänge und Umstellungen. Da kann man sich was vornehmen. Aber nicht wegen eines von Julias Cäsar um 45 vor Christus eingeführten Kalenders. Faszinierende Tatsache, die Jahre definieren sich anhand Christi Geburt und die Einteilung anhand der Römer. Wenn die Chinesen weiterhin derartig expandieren, nehmen wir sie vielleicht auch noch mit in den Kalender. Möglicherweise für die Einteilung der Tage. Stunden sind sowieso bescheuert. Das Dezimalsystem bleibt auf der Strecke.
Bald ist es soweit, die Uhr schlägt, die Party beginnt. Menschen werden einen Tag älter. 2006 ich warte. Wir alle warten! Feiernd. Das wird mein erstes Silvester in Basel. Das Millennium verbrachte ich noch Pingpong spielend im Jura, die anderen Jahreswechsel irgendwo in den Bergen. Aber von der Zeit kann man ja doch nicht fliehen und hier habe ich meine trauten Freunde zu einem grossen Teil versammelt. Das ist doch einiges! Party on...