07 Januar 2006

en tour

Ich fahre wie immer, der Verkehr fliesst ruhig vor sich hin, mein Fahrrad solide. Ein Rennrad, dünne Reifen und seltsame Lenker, aber super Fahrgefühl. Mit Leichtigkeit überhole ich schwitzende Gelegenheitsradler. Behände überfahre ich Tramschienen, ohne Hängen zu bleiben, ohne wie ihre Fahrer alle paar hundert Meter stehen zu bleiben um auf andere zu warten. Freiheit, Unabhängigkeit, immer habe ich sie gesucht, nie gesehen, zerbrochen am Zwang und jetzt ist sie da, bis ich ankomme, irgendwann.

Bis ich vor der Migros stehe, denn Eier, Brot, vielleicht noch ein Flasche Sirup, Blutorange oder Exotik, brauche ich. Dann Bezahlen, mit der Postkontokarte, ein virtueller, überschaubarer, registrierter Geldtransfer.

Doch jetzt trete ich noch in die Pedale, eine Steigung hoch und auf der anderen Seite gelassen wieder herunter, ich habe es nicht eilig. Nach dem Einkaufen könnte ich möglicherweise noch Freunde besuchen. Ganz ungezwungen, reden über sich, die andern, die Welt, uns, unsere Beziehung zur Welt, über alles. Zusammen Rotweintrinken. Ein Getränk mit Kultur, und berauschender Wirkung für zweineunundneunzig im Marktkauf, gar nicht mal so teuer, billiger noch als Bier.

Noch diese Brücke und dann der Kreisel, schon bin ich da. Weihnachtsbeleuchtung ziert noch immer die Brüstung, am Tag hängt sie nur schlaf da, ohne Licht, ohne Sinn. Im Sommer springen Menschen ins Kühle nass, jetzt liegt es einsam da, vor sich hin fliessend, mehrere Kilometer in der Stunde, ich beneide ihn, den Fluss. Er wird irgendwann im Meer verschwinden und die ganze Welt sehen.

Ich sehe bereits das grosse M, kennzeichnend, jeder Schweizer weiss, hier kann eingekauft werden, für relativ wenig Geld. Immer die selben Produkte, egal welcher Standort. Kurz rein, schnell wieder raus, nachdem aus den Regalen mit geübten Griffen die benötigten Grundmittel herausgegriffen wurden. Der einzige Risikofaktor ist die Kasse. Wo anstehen? Bei der kürzeren aber beladeneren Kasse oder doch links hinter dem alten Mann, der bereits jetzt sein Kleingeld zusammensucht weil er sonst alle aufhalten würde, was im peinlich wäre. Danach nach hause, Produkte verbrauchen und wieder von vorne beginnen.

Noch eine Kurve und ich bin da. Schwungvoll versuche ich ihr zu folgen, richte mich halb auf, um die Geschwindigkeit besser zu nutzen, übersehe den Stein am Strassenrad, fahre genau darüber, verliere meine Balance. Beide Räder rutschen mir nach rechts weg in Richtung Bürgersteig, ich falle, ohne mich aufzufangen, weil ich immer noch nicht realisiere was passiert, auf die Strasse, Autos hupen, Bremsen quietschen, ich schlage mit dem Kopf auf, bleibe liegen, sehe nichts mehr nur noch Schwarz. Zum Glück habe ich nicht auf die Helm tragenden Sicherheitsfanatiker gehört. Schmerzen habe ich keine, ich bin nur in grosser Erwartung.

05 Januar 2006

tatsachen

Schwierig frohen Mutes vorwärts zu blicken. Ich fühle mich besser und verdammt übel gleichzeitig. Aber ich weiss, dass es richtig war Schlussstriche zu ziehen, damit ich mich aus diesem Zustand der unglaublichen Freude, aber auch schwer zu ertragender Trauer, der mich noch immer mit ihr verband, zu lösen.

Ich mag sie wirklich, so sehr, dass ich nicht möchte, dass das vorübergehen und in Missbilligung, sogar Hass übergehen könnte, wie so viele Beziehungen, die zerbrechen. Lieber sehe ich sie nicht mehr, zumindest für die nächste Zeit, damit wir uns irgendwann befreit, vielleicht sogar als Freunde, oder zumindest als Menschen, die sich gegenseitig achten, vor die Augen treten können.

Ich will nicht abhängig von den Launen einer anderen Person sein, weil mir die Zeit mit ihr mehr bedeutet als mein eigenes Wohlergehen danach und ich möchte sie so in Erinnerung behalten, wie ich sie liebe und immer lieben werde, auch wenn sicherlich andere Frauen in mein Leben treten werden. Ich will dann sagen können, meine erste Freundin hat mich weiter gebracht und nicht kommende Betrachtungen aller Beziehungen zerstört.

Ich vertraue gerne einem Menschen. Dieses Gefühl der Sicherheit, des Haltes inmitten einer unhaltbaren Gesellschaft, von der ich nur mit grösster Mühe ein Teil sein kann, stärkt, baut auf, lässt mich vieles Ertragen von dem ich nicht wüsste, wie ich sonst damit fertig werden sollte. Das nicht nur für Liebesbeziehungen, überhaupt nicht. Diese sind nur eine ungemein Stärkere und unmittelbarere Form freundschaftlicher Verhältnisse. Eine Form, die dermassen intensiv ist, dass sie ungemein strapaziert und unter andauernder Spannung steht, so dass unglaublich schnell alles ändern kann.

Gefühle sind unkontrollierbar, spielen nicht mit dem Verstand mit, haben ein Eigenleben und beeinflussen uns dermassen fest, dass ich es manchmal kaum aushalte. Auch jetzt. So gerne ich auf meine Gefühle höre, ich muss jetzt mit dem Verstand arbeiten, mich zurücknehmen, Dinge sagen, die ich eigentlich gar nicht sagen möchte. Ich will sie nicht nicht mehr sehen. Im Gegenteil. Ich wüde jetzt gerne sehen, egal ob wir uns ernsthaft unterhalten, Witze machen, uns umarmen oder was auch immer. Aber ich kann nicht, darf nicht. Will nicht?

So schnell verblassen existierende Dinge zur Erinnerung und so lange ist der Prozess, dass ich diese als Erinnerung akzeptieren kann. Als schöne Erinnerung. Ich kann es noch immer nicht, aber ich würde gern.

Vielleicht liest du das ja auch irgendwann, vielleicht geht es dir ähnlich, aber trotzdem wird es anders für dich sein, weil wir uns in anderen Phasen befinden, die nicht mehr miteinander funktionieren, leider. Bedauerlicherweise musste es so sein und ich bin dir weder böse, noch beleidigt oder sonst etwas. Traurig bin ich, muss ich sein nach so vielen Monaten der Freude.

Jetzt beginnt ein neuer Abschnitt in meinem Leben, der Übergang ist vorbei, die Grenze gesetzt. Ich will mir nichts mehr vormachen, nichts mehr bedingt geniessen. Es ist meine Zeit aufzuwachen und mich auf den Tag zu freuen, ich weiss noch nicht wie, aber ich lasse es auf mich zukommen.

Danke für alles, heute werfe ich meinen Sarkasmus, meinen Hass über Bord, weil du es verdient hast.

03 Januar 2006

im auto

Wieder war die Ampel rot. Wie jeden Morgen. Wieder fragte er sich, ob es überhaupt jemals vorgekommen war, dass er direkt hatte durchfahren können. Jeden Tag, zweimal eine halbe Stunde Weg. Immer der gleiche. Er hatte bereits versucht Variation einzubringen, ging bei Muttenz von der Auobahn, fuhr kleine Strassen durch Dörfer, war erst nach 50 Minuten in Olten. Und auch noch unbezahlt, die langweiligste Stunde des Tages ein Stück seiner Freizeit. Fünfunsvierzigstundenwoche, mindestens.

Endlich grün. Motoren starteten, zig Tonnn Blech und ein paar hundert Kilo Fleisch sezten sich in Bewegung. Und dann wieder rot. Zwei Wagen vor ihm. Wieder steckt er fest. Aber eigentlich kam es gar nicht drauf an, er wusste sowieso, was ihn erwarten würde kannte alle Abzweigungen, die er passieren würde, hatte bereits alle Schilder gelesen, konnte jederzeit sagen, wie weit Zürich oder Bern noch entfernt waren, ja manchmal erkannte er sogar Wagen wieder, die ihn öfters auf der Autobahn überholten. Kam es dann darauf an, ob er jetzt fest sass oder nicht?

Selbst wenn er früher ankäme, auch da wusste er was ihn erwarten würde, die immer gleichen Arbeitskollegen, Sprüche, die niemand lustig fand, darum lachten alle. Kaffe aus dem Automaten ohne Geschmack. Sein Arbeitsplatz. Der Schreibtisch aus schwarz lackiertem Holz, Ikeastandart. Pause von viertel vor neun bis neun, von zwölf bis eins und dann am Nachmittag von halb vier bis viertel vor vier, oder vier, wenn der Chef nicht da war. Der Rauch hastig gerauchte Zigaretten in den Aufenthaltsäumen schwebend. Menschen, die anriefen, von ihm erwarteten, dass er sich freundlich gab. Und das tat er auch. Er war der langjährigste Mitarbeiter.

Plötzlich ein Aufschrei, eine Kinderstimme überschlug sich, der Klang von Tränen und Trotz. Ein Mann rief verärgert. Seine Stimme hörte sich nach Prügel, Sadismus, Besserwisserei an. Dann rannte das Kind quer über die Strasse, Reifen quietschten, Fahrer hupten, weil niemand ihr Fluchen hören konnte. Der Mann, langbeinig, sprintete hinterher, packte den Verfolgten, kaum hatte er den Bürgerseig erreicht, umschlang ihn mit breiten Armen, die Tritte des unkontrolliert umsichschlagenden Opfers ignorierend und trug ihn fluchend zurück.

Da schaltete die Ampel auf Grün, es musste weiter gefahren werden. Niemand schenkte der Szenerie beachtung, nicht mein Leben. Auch er fuhr weiter, aus einem Automatismus heraus. Doch sein Bewusstsein nahm die Strasse kaum war. Was, wenn das Kind entführt worden war? Oder misshandelt? War der Mann der Vater gewesen? Vielleicht war er ein Nachbar, der sich dann und wann um das Kind kümmerte, weil die Mutter die meiste Zeit arbeiten musste, ihm Geschenke machte, nett zu ihm war, bis er sich des Vertrauens der Familie sicher war und sich seiner Lust hingeben konnte. Eine gesunder Verstand für immer zerstört, tiefe Gräben gezogen, die sich nicht mehr schliessen liessen. Nie mehr.

Weshalb hatte er nichts unternommen? Er hätte austeigen, auf den Mann zugehen, ihn zur Rede stellen können. Der Mann wäre durchgedreht, hätte ihn angegriffen. Doch er hätte den Angreifer mit einer geschickten Seitwärsbewegung straucheln lassen, ihm die Handkante in den nacken geschlagen und ihn getreten. Schwärze, tiefe Ohnmacht, ein spätes Erwachen in einer Zelle.

Er hätte das Kind zur Mutter gebracht, eine unglaubliche Attraktive Frau, ledig, auf der Suche. Sie wäre ihm unendlich dankbar gewesen, so dankbar, dass er nach zwei Monaten eingezogen wäre. Nach der Heirat hätte ihm der Schwiegervater eine leitende Position in seiner Firma angeboten mit nur zehn Minuten Arbeitsweg. Mit achzig wäre er dann zufrieden gestorben. Seine Frau ein halbes Jahr später.

So schnell kann man eine Chance verpassen, aber immerhin war diesmal die Hinfahrt erstaunlich kurzweilig, dachte er, stieg aus, warf seine Gedanken ab und ging zur Arbeit.

02 Januar 2006

hauptsache Klischee

Sie ist etwa Ende zwanzig, hübsch, schlank, eine Thailänderin. Er ein urchiger Schweizer gegen die fünfzig. Sie beide schlendern durch die Manor. Er hat vor im vierten Stock die neusten Computermodelle zu bestaunen, sie läuft einfach mal hinter ihm her. Ohne Ziel, perspektivenlos. Bis sie eine um 50% reduzierte Lacoste Tasche inmitten einem Haufen anderer Accessoires neben der Rolltreppe entdeckt. Die Freude währt nur kurz. Mit einem knappen „Du willst sie doch sowieso nur wegen dem Krokodil“ ist die Sache erledigt.

Die Rollenverteilung ist klar, ich bin der Boss, du meine Frau, ich habe das Sagen. Vor fünf Jahren hat er sie in Thailand kennen gelernt. Sie arbeitete damals als Putzfrau, kam mehr schlecht als recht durch, hatte bereits einen Sohn, von dem ihr jetziger Mann nichts weiss, der bei den Grosseltern aufwächst und dem sie wann immer möglich Geld zukommen lässt. Der eklige Schweizer Bierbauch auf zwei Beinen war ihr Einwegticket in den Luxus einer anderen Welt. Deshalb umgarnte sie ihn mit allen Mitteln ihrer nicht zu knappen Weiblichkeit, liess sämtliche Praktiken an sich ausprobieren, hatte immer Lust, verkaufte ihren Körper.

Ein zärtlich geflüstertes I-love-you im Bett. Anlächeln, Mit der Hand vom Gesicht bis zum Bauchnabel fahren. Ein Kuss auf die Stirn. Theater, das wusste auch er. Aber zu lange war er alleine gewesen, war abgewiesen worden, wenn er sich einer Frau näherte. Durch berufliche Hingabe war er mittlerweile zum Bauleiter aufgestiegen. Trotzdem hatte er jeden Abend alleine ferngesehen. Manchmal war er auch am Fenster gestanden mit seinem Bier und hatte spielende Kindern und vor allem deren Mütter im Hinterhof beobachtet, bis er irgendwann nach mehr Ruhe ausrief und sich danach noch schlechter fühlte. Sein Körper hatte sich gemeldet ihn in die Rotlichtbezirke der Stadt geführt. Immer und immer wieder und jedes Mal fühlte er sich danach ausgelaugt und dreckig. Dann beschloss er endlich mal in Urlaub zu fahren.

Vielleicht wird sie sich in mich verlieben, denkt er, wenn sie nur genügend Zeit mit mir verbringt und meine Qualitäten entdeckt. Er gab sich Mühe, zumindest anfangs. Die Beziehung funktioniert, er fühlt sich besser, trotz Routine.

Sie vermisst die Heimat, aber hat ihn mittlerweile lieb gewonnen, solange sie genug Zeit für sich hat, regelmässig trifft sie sich mit anderen Frauen aus Thailand...

Vielleicht liege ich auch total daneben und sie lieben sich wirklich und sind nur deshalb zusammen. Zu schnell kommt man ins Spekulieren, wenn man Fremde sieht und sich deren Geschichte überlegt. Vielleicht bin ich unfair und kategorisch. Möglicherweise habe ich auch ins Schwarze getroffen. Fragt sie, wenn ihr sie sehen solltet, ich bin leider schweigend weiter gelaufen. Raus aus der Manor.

Silvester geschafft, irgendwie, wie auch immer

Ich habe Silvester mehr oder weniger heil überstanden. Wie ich das geschafft habe? Ich staune noch immer. Was ich alles gmacht habe? Ich weiss es nicht.

Irgendwann gegen fünf, habe ich in meinem Büro gemütlich für mich alleine mit dem Eintrinken begonnen und meine Gedanken zu Silvester aufgeschrieben. (siehe Einunddreissigsten Zwölften Zweitausendundfünf) Da war die Welt noch in Ordnung, ich in Frieden mit mir selbst, voller Vorfreude auf eine grosse Party, die Ruhe oder abwechselnd die gute Musik (Maritime: Glass Floor) um mich geniessend. Das hielt ich so etwa zwei Stunden, respektive drei Bier lang aus.

Doch dann wurde ich jäh aus meiner Idylle gerissen. Man verschleppte mich zu einem ausklingenden Abendessen, oder besser Diner, französisch elegant ausgesprochen, in der Nähe des Zoos. In einer Wohnung, die so eingerichtet war, dass Vorhänge und Wasserhähne zusammenpassten. Alles sah so teuer und sauber aus, ich hatte Angst mich zu setzen, meine harten Jeans könnten das weiche Leder der Polstergruppe zerkratzen.

Die Wohnung gehörte, wie ich später erfuhr, einem Chirurgen und die mit wirklich sehr seltsamem Schmuck geschmückte Vogelscheuche, die mich rein gelassen hatte war seine Tochter, die sich jetzt als kultivierte Gastgeberin aufspielte. Der Clubtisch, auf dem auch gegessen wurde, stand ihren Körperverzierungen in nichts nach. Sternchen und Tropfen aus Plastik waren mit ungeschickter Hand verstreut worden, wie das Saatgut auf einem Acker. Immerhin die einzige persönliche Note. Der Rest der Einrichtung waren vorwiegend Afrikanische Kunstwerke. Kolonialistenstyle. So stelle ich mir reiche Briten gegen Ende des 19 Jahrhunderts vor. Alles topmodern und dazwischen ein Paar Souvenirs, die man einem Afrikaner geklaut hat, als er versklavt wurde. Sozusagen Trophäen, die Köpfe darf man ja nicht aufhängen, die gehören zu den Händen und diese wiederum werden benötigt.

Sinatra der alte Chauvi proletete irgendwo im Hintergrund halblaut über Liebe. Das war sogar gescheiter als der Rest der Unterhaltungen. Sieben Menschen, keiner hat was zu sagen, sitzen um einen Tisch. Es war so still und unangenehm, am liebsten hätte ich lautstark gefurzt. Drei hätten sich amüsiert für die andern wäre ich das primitive Schwein gewesen. Und das lag gar nicht im Sinne dieser Runde. Die waren derartig kultiviert, wenn die genug Geld gehabt hätten, wäre das Essen wahrscheinlich im Stucki zelebriert worden. Die Schütteten sich sogar das Bier in ein Cocktailglas. Welch Blasphemie. Manche schlürften Lychee, dieser Alkoholische Sprudelsirup aus Champagnergläsern. Na ja, solange es so aussieht als ob.

Nach einer ewigen halben Stunde wurde es uns Normalos zu bunt, dieses perverse Treiben. Wir flohen, irgendwie. Nachdem ich fertig angezogen fünf Minuten schweigend im Gang gestanden war, weil irgendeiner meiner Begleiter sich einschleimen und eine gewaltige Abschiedszeremonie halten musste, brachen wir aus, aus diesem Sumpf von Erwachsenheit, Zivilisation und Unterdrückung. Nur weg ins Brasilea.

Vom Regen in die Traufe nennt der Volksmund das. Nach einer halben Stunde anstehen, kamen wir kurz vor vierundzwanzig Uhr rein in die begehrte(?) Partylocation am Rhein. Begrüsst wurden wir von einem Rohrbruch, der das halbe untere Stockwerk verpfützt hatte. Scheisegal, ich hatte eh schon nasse Füsse. Die Garderobe war gratis. Ein Pluspunkt.

Das Brasilea ist ein Mehrstöckiger Komplex ohne Seele, weil liebloser Neubau. Es war gestopft mit sämtlichen Exponaten der Baslerparty Unkultur. Leute, die ich kaum kannte gratulierten mir zum neuen Jahr, ich hielt plötzlich Champagner in den Händen. Immerhin. Frisch gestärkt erkundet es sich leichter. Mehrere Stockwerke und eine Dachterrasse boten wunderbare Rassentrennungsmöglichkeiten. Ich pilgerte hoch und runter, immer wieder. Der Dancefloor schiss mich richtig gehend an, weil die Musik Unterste war und Platz gab es sowieso keinen.

Mittlerweile hatte ich mich in einen Zustand alkoholisierter Depression und Ekels gesoffen. Lachende Gesichter verschwammen vor meinen Augen zu nichts sagenden Masken, denen ich am liebsten ausgewichen wäre, es aber nicht konnte. Da war kein Platz mehr. Sie waren überall. Eine Invasion der lebenden Toten. Nichts wie raus hier. Wo ist mein Schrotgewehr?

Hilfe. Sie wollen mich mit verseuchen ihrem Treiben beizuwohnen. Ein leeres Gejauchze und Gebalze bis um Vier und dann ficken bis in den Morgengrauen. Happy New Year, ihr... Mir fehlen die Worte. Ich bin sprachlos, deplaziert. Meine Selbstironie reicht nicht mehr aus, dieses Treiben gut zu heissen. Ich verliere mich, vereinsame in mitten von hunderten von Leuten. Schritt für Schritt zurück, bis ich mit dem Rücken zur Wand stehe. Umzingelt von potentiellen Freunden, die mich zu erdrücken suchen. Ich gehe unter in einem Meer von Persönlichkeiten, dem ich nichts entgegenzusetzen habe.

Und dann meine Ex. Plötzlich steht sie kaum zwei Meter entfernt, unterhält sich mit irgendwem, beachtet oder sieht mich nicht. Scheisse, das hat mir noch gefehlt. Ich bin betrunken, deprimiert, habe kaum mehr Kurzzeitgedächtnis und dann steht da die Hauptursache meiner Krise. Ein ungezwungenes Anlächeln. Scheisse sieht sie gut aus, denke ich. Warum wurde ich mit Gefühlen bestraft?! Welcher Sadist gab mir diese Fähigkeit?

Ich bin unfähig mich zu bewegen, möchte fliehen und werde von ihr in den Bann gezogen. Mein Körper muss bleiben, mein Geist ist sonst wo, ich finde ihn nicht mehr. Er schwebt über meinem Kopf und lacht mich aus. Plötzlich ist sie ganz nahe, redet zwar kaum mit mir, aber unsere Körper berühren sich. Ihre Freundinnen versuchen mich zu Gesprächen zu animieren, aber ich rede nicht gerne, wenn ich meine Aufmerksamkeit nicht zu Hundert Prozent einer Person widmen kann. Ich schrie, dermassen laut, dass mich niemand hören konnte. Das war’s, es hatte keinen Zweck mehr, entweder zerstörte ich mich im Minutentakt, jedes Mal ein bisschen mehr oder ich musste raus. Raus aus der anonymen Masse, deren einziger Rettungsanker, die Leine durchgeschnitten hatte. Ein flüchtiges Lebwohl, verliess ich wissend alles falsch gemacht zu haben diesen Container gefüllt mit menschlicher Natur.

Ich Idiot, stehe mir selbst im Wege, unfähig meine Launen auszuleben und wenn, dann so, dass mich niemand versteht und ich nur kopfschütteln ernte. Toll macht doch was ihr wollt, ich nehme mir nichts vor fürs Neue Jahr. Korrumpieren lasse ich mich nicht.

Auf dem Rückweg lief ein Film ab, ich sehe mich wieder untätig da stehen. Mich selbst hassend, die anderen verachtend. Nie sah ich mich als etwas Besseres. Bin wie ein Hund, nicht ganz stubenrein, unfähig über längere Zeit die Maske der Zivilisation zu tragen. Warum habe ich nicht mit ihr geredet, ihr meine Situation und Empfinden erklärt, statt mich selbst aufzufressen, bis nur noch eine leere Hülle blieb. Etwas Leeres kann nicht sprechen, so konnte auch ich nicht mehr reden, nur noch schweigen und da stehen. Jetzt war ich der Zombie. Kein Wunder wollte niemand etwas mit mir zu tun haben. An Silvester wird getanzt und gelacht, nicht geschwiegen und auf keinen Fall geweint.

Endlich zu hause. Zwei Freunde schauten noch vorbei. Mit sinnvollen Dialogen und anschliessend einem herzerwärmendem Film, Alles auf Zucker, in den Morgengrauen. Danke. Ich bin nur halb der Held, der ich gerne wäre.