02 Januar 2006

Silvester geschafft, irgendwie, wie auch immer

Ich habe Silvester mehr oder weniger heil überstanden. Wie ich das geschafft habe? Ich staune noch immer. Was ich alles gmacht habe? Ich weiss es nicht.

Irgendwann gegen fünf, habe ich in meinem Büro gemütlich für mich alleine mit dem Eintrinken begonnen und meine Gedanken zu Silvester aufgeschrieben. (siehe Einunddreissigsten Zwölften Zweitausendundfünf) Da war die Welt noch in Ordnung, ich in Frieden mit mir selbst, voller Vorfreude auf eine grosse Party, die Ruhe oder abwechselnd die gute Musik (Maritime: Glass Floor) um mich geniessend. Das hielt ich so etwa zwei Stunden, respektive drei Bier lang aus.

Doch dann wurde ich jäh aus meiner Idylle gerissen. Man verschleppte mich zu einem ausklingenden Abendessen, oder besser Diner, französisch elegant ausgesprochen, in der Nähe des Zoos. In einer Wohnung, die so eingerichtet war, dass Vorhänge und Wasserhähne zusammenpassten. Alles sah so teuer und sauber aus, ich hatte Angst mich zu setzen, meine harten Jeans könnten das weiche Leder der Polstergruppe zerkratzen.

Die Wohnung gehörte, wie ich später erfuhr, einem Chirurgen und die mit wirklich sehr seltsamem Schmuck geschmückte Vogelscheuche, die mich rein gelassen hatte war seine Tochter, die sich jetzt als kultivierte Gastgeberin aufspielte. Der Clubtisch, auf dem auch gegessen wurde, stand ihren Körperverzierungen in nichts nach. Sternchen und Tropfen aus Plastik waren mit ungeschickter Hand verstreut worden, wie das Saatgut auf einem Acker. Immerhin die einzige persönliche Note. Der Rest der Einrichtung waren vorwiegend Afrikanische Kunstwerke. Kolonialistenstyle. So stelle ich mir reiche Briten gegen Ende des 19 Jahrhunderts vor. Alles topmodern und dazwischen ein Paar Souvenirs, die man einem Afrikaner geklaut hat, als er versklavt wurde. Sozusagen Trophäen, die Köpfe darf man ja nicht aufhängen, die gehören zu den Händen und diese wiederum werden benötigt.

Sinatra der alte Chauvi proletete irgendwo im Hintergrund halblaut über Liebe. Das war sogar gescheiter als der Rest der Unterhaltungen. Sieben Menschen, keiner hat was zu sagen, sitzen um einen Tisch. Es war so still und unangenehm, am liebsten hätte ich lautstark gefurzt. Drei hätten sich amüsiert für die andern wäre ich das primitive Schwein gewesen. Und das lag gar nicht im Sinne dieser Runde. Die waren derartig kultiviert, wenn die genug Geld gehabt hätten, wäre das Essen wahrscheinlich im Stucki zelebriert worden. Die Schütteten sich sogar das Bier in ein Cocktailglas. Welch Blasphemie. Manche schlürften Lychee, dieser Alkoholische Sprudelsirup aus Champagnergläsern. Na ja, solange es so aussieht als ob.

Nach einer ewigen halben Stunde wurde es uns Normalos zu bunt, dieses perverse Treiben. Wir flohen, irgendwie. Nachdem ich fertig angezogen fünf Minuten schweigend im Gang gestanden war, weil irgendeiner meiner Begleiter sich einschleimen und eine gewaltige Abschiedszeremonie halten musste, brachen wir aus, aus diesem Sumpf von Erwachsenheit, Zivilisation und Unterdrückung. Nur weg ins Brasilea.

Vom Regen in die Traufe nennt der Volksmund das. Nach einer halben Stunde anstehen, kamen wir kurz vor vierundzwanzig Uhr rein in die begehrte(?) Partylocation am Rhein. Begrüsst wurden wir von einem Rohrbruch, der das halbe untere Stockwerk verpfützt hatte. Scheisegal, ich hatte eh schon nasse Füsse. Die Garderobe war gratis. Ein Pluspunkt.

Das Brasilea ist ein Mehrstöckiger Komplex ohne Seele, weil liebloser Neubau. Es war gestopft mit sämtlichen Exponaten der Baslerparty Unkultur. Leute, die ich kaum kannte gratulierten mir zum neuen Jahr, ich hielt plötzlich Champagner in den Händen. Immerhin. Frisch gestärkt erkundet es sich leichter. Mehrere Stockwerke und eine Dachterrasse boten wunderbare Rassentrennungsmöglichkeiten. Ich pilgerte hoch und runter, immer wieder. Der Dancefloor schiss mich richtig gehend an, weil die Musik Unterste war und Platz gab es sowieso keinen.

Mittlerweile hatte ich mich in einen Zustand alkoholisierter Depression und Ekels gesoffen. Lachende Gesichter verschwammen vor meinen Augen zu nichts sagenden Masken, denen ich am liebsten ausgewichen wäre, es aber nicht konnte. Da war kein Platz mehr. Sie waren überall. Eine Invasion der lebenden Toten. Nichts wie raus hier. Wo ist mein Schrotgewehr?

Hilfe. Sie wollen mich mit verseuchen ihrem Treiben beizuwohnen. Ein leeres Gejauchze und Gebalze bis um Vier und dann ficken bis in den Morgengrauen. Happy New Year, ihr... Mir fehlen die Worte. Ich bin sprachlos, deplaziert. Meine Selbstironie reicht nicht mehr aus, dieses Treiben gut zu heissen. Ich verliere mich, vereinsame in mitten von hunderten von Leuten. Schritt für Schritt zurück, bis ich mit dem Rücken zur Wand stehe. Umzingelt von potentiellen Freunden, die mich zu erdrücken suchen. Ich gehe unter in einem Meer von Persönlichkeiten, dem ich nichts entgegenzusetzen habe.

Und dann meine Ex. Plötzlich steht sie kaum zwei Meter entfernt, unterhält sich mit irgendwem, beachtet oder sieht mich nicht. Scheisse, das hat mir noch gefehlt. Ich bin betrunken, deprimiert, habe kaum mehr Kurzzeitgedächtnis und dann steht da die Hauptursache meiner Krise. Ein ungezwungenes Anlächeln. Scheisse sieht sie gut aus, denke ich. Warum wurde ich mit Gefühlen bestraft?! Welcher Sadist gab mir diese Fähigkeit?

Ich bin unfähig mich zu bewegen, möchte fliehen und werde von ihr in den Bann gezogen. Mein Körper muss bleiben, mein Geist ist sonst wo, ich finde ihn nicht mehr. Er schwebt über meinem Kopf und lacht mich aus. Plötzlich ist sie ganz nahe, redet zwar kaum mit mir, aber unsere Körper berühren sich. Ihre Freundinnen versuchen mich zu Gesprächen zu animieren, aber ich rede nicht gerne, wenn ich meine Aufmerksamkeit nicht zu Hundert Prozent einer Person widmen kann. Ich schrie, dermassen laut, dass mich niemand hören konnte. Das war’s, es hatte keinen Zweck mehr, entweder zerstörte ich mich im Minutentakt, jedes Mal ein bisschen mehr oder ich musste raus. Raus aus der anonymen Masse, deren einziger Rettungsanker, die Leine durchgeschnitten hatte. Ein flüchtiges Lebwohl, verliess ich wissend alles falsch gemacht zu haben diesen Container gefüllt mit menschlicher Natur.

Ich Idiot, stehe mir selbst im Wege, unfähig meine Launen auszuleben und wenn, dann so, dass mich niemand versteht und ich nur kopfschütteln ernte. Toll macht doch was ihr wollt, ich nehme mir nichts vor fürs Neue Jahr. Korrumpieren lasse ich mich nicht.

Auf dem Rückweg lief ein Film ab, ich sehe mich wieder untätig da stehen. Mich selbst hassend, die anderen verachtend. Nie sah ich mich als etwas Besseres. Bin wie ein Hund, nicht ganz stubenrein, unfähig über längere Zeit die Maske der Zivilisation zu tragen. Warum habe ich nicht mit ihr geredet, ihr meine Situation und Empfinden erklärt, statt mich selbst aufzufressen, bis nur noch eine leere Hülle blieb. Etwas Leeres kann nicht sprechen, so konnte auch ich nicht mehr reden, nur noch schweigen und da stehen. Jetzt war ich der Zombie. Kein Wunder wollte niemand etwas mit mir zu tun haben. An Silvester wird getanzt und gelacht, nicht geschwiegen und auf keinen Fall geweint.

Endlich zu hause. Zwei Freunde schauten noch vorbei. Mit sinnvollen Dialogen und anschliessend einem herzerwärmendem Film, Alles auf Zucker, in den Morgengrauen. Danke. Ich bin nur halb der Held, der ich gerne wäre.